P. Josef Wilfings Inselpost Nr. 10: Puso sa Puso
Anfang Juni waren wir zur Graduierungsfeier von „Puso sa Puso“ (Slumschule), eingeladen. In meinen Augen war das das erste wirklich gelungene Fest, an dem ich hier teilnehmen konnte. Zwei Lehrer führten durch ein abwechslungsreiches Programm ohne sich selbst zum Mittelpunkt zu machen.
Die Feier begann mit dem Einmarsch der Graduierten. Darauf folgte die von den Philippinos geliebte Flaggenparade mit anschließender Hymne. Vier Studenten - zwei männlich, zwei weiblich - marschieren langsam ein, die beiden Männer mit der Fahne, die beiden Frauen mit einem Holzgewehr in Paradehaltung. Danach folgte die Hymne – mit Hand aufs Herz.
Dieses Jahr gab es 86 Absolventen, acht mit Grundschulabschluss und 78 mit High-Schoolabschluss, was unserem Gymnasium entspricht. Einen solchen Abschluss braucht man unbedingt, damit man zumindest die Stelle eines Verkäufers in einem Geschäft oder auf dem Markt bekommt. Ohne solche Abschlüsse kann man sich nur als Hilfsarbeiter anstellen lassen, was sehr häufig mit Gelegenheitsarbeiten gleich gesetzt werden kann. Der High-Schoolabschluss berechtigt auch zum Besuch eines College, was bereits Anstellungen im besseren Segment bietet. Nicht wenige von diesen finden dann Arbeit in einem Callcenter, von denen es auf den Philippinen jede Menge gibt.
Wirklich qualifizierte Arbeit bekommt man erst mit einem Universitätsabschluss, Bachelor nach drei Jahren, oder mit einem Master nach fünf Jahren. Die Feier wurde von den Lehrern in der Ferienzeit erarbeitet – in mehr oder weniger unbezahlten Überstunden, wie ich vermute. Die Mutter eines Schülers hielt auch eine Ansprache, die nach ihren Vorgaben von einem Lehrer aufgeschrieben wurde. Sie übte dann drei Tage für den Vortrag, der wie auch die anderen Reden sehr kurzweilig und doch ernst war. Zum Abschluss gab es noch die unvermeidbare Merienda.
Für nächstes Jahr hat man für einen Schulstandort 190 Anmeldungen für den anderen 160 erhalten. Von diesen werden wohl nicht alle durchhalten. Aber es gibt immer einige in Wartestellung, die die freien Plätze auffüllen werden. Auch wenn sie an andere Schulen weiterverwiesen werden, wollen sie warten, bis ein Platz in „Puso sa Puso“ frei wird. Manche der Abbrecher kommen ein Jahr später wieder, um es erneut zu versuchen. Es ist nicht einfach. Viele arbeiten nachts, um sich am Tag in die Schule zu setzen. Laut Sr. Frances hat sich eine „Fangemeinde“ von Ehemaligen gebildet, die in ihrer Freizeit immer wieder zur Schule kommen, um zu grüßen oder auch um zu helfen.
Regenzeit
Die Regenzeit hat jetzt ernstlich eingesetzt, auch wenn es eine Woche fast ohne Regen gab. Sonst ist der tägliche Regen Pflicht. Es wird dann ganz still in den Straßen. Spaziergänge sind wegen der unsicheren Wetterlage nur bedingt möglich.
Erweiterte Abdeckung über der Zufahrt. Dieser Platz kann jetzt auch für verschiedene Veranstaltungen genützt werden. (c) P. Josef Wilfing
Renovierungen fast beendet
Nach sieben Monaten sind die Renovierungen fast abgeschlossen. Es gibt nur noch ein paar Ergänzungen zu machen. Zuletzt war es schon lästig, weil wir uns nicht so frei im Haus bewegen konnten, weil die Arbeiter auch überall sein konnten, weil gerade etwas zu reparieren war. Dach, Fassaden, Vordächer wurden taifunfest gemacht oder erweitert. Die Gemeinschaftsräume: Kapelle, Studienräume, Sportsaal und Speisesaal, Schreibtische, Stühle und Fenster (inklusive Glas) frisch gestrichen und katzenfeste Moskitonetze für das Erdgeschoß angeschafft. Am wichtigsten war mir, dass man auch den Empfangsraum neu eingerichtet hat.
Fest des Pfarrpatrons St. Rochus
Einen Einblick in die philippinische Seele konnte ich am Fest des Pfarrpatrons St. Rochus gewinnen. Es ist üblich die Familie, Freunde oder auch Ehrengäste nach der Messe zum Mittagessen einzuladen. So kommen auch wir bisweilen zu diesen Ehren.
Dieses Jahr habe ich mich allein auf den Weg gemacht. Ich wollte ein wenig das Dorf bei diesem Fest spüren. Ich sollte letztlich viereinhalb Stunden unterwegs und Gast in acht Häusern sein. Drei dieser Besuche möchte ich ein wenig beschreiben, da sie mir auffällig erscheinen.
Das Buffet beim Nachbarn, wo es auch eine Taufe gab. Dessen Vater hat mich beim Vorübergehen eingeladen. Ich habe ein wenig gegessen und bin dann wieder gegangen. Hier ohne jede Unterhaltung außer ein paar Worten mit dem Vater. (c) P. Josef Wilfing
Drei Besuche
Auf dem Weg zur ersten Einladung, wo letztlich niemand vor dem Haus zu sehen war, lud mich eine andere Frau in ihr Haus zum Essen ein. Da ich jetzt frei war, nahm ich diese Einladung an. Das Haus war geräumig. Aufgebaut aus diesen bloß 10cm starken Ziegeln, weil man keinen Kälteschutz braucht, blieb es außen unverputzt. Das Haus ist geräumig mit Blick auf die Unterseite der Dachabdeckung und einem einfachen Belag am Boden.
Erste Einladung. Ein kleiner Einblick in die Wohnung und auf die Menschen. (c) P. Josef Wilfing
Die Möbel waren zusammengestellt. Man ist damit zufrieden, dass man ein Haus hat. Das verweist auf einfachere Verhältnisse in dieser Familie. Die Personen im Haus waren freundlich. Man stand aber nicht auf, um mich zu begrüßen. Das dürfte aber nicht Unhöflichkeit sein sondern eher Usus, weil es auch in den anderen Häusern, wo man mich kannte, so war. Ich wurde auch dort nicht extra begrüßt sondern einfach zum Buffet geführt und an einen Tisch gesetzt. In diesem Haus waren die Leute interessiert an mir und ich an ihnen. Ich aß ein wenig und unterhielt mich mit einigen Leuten im Haus.
„Das Fest des Pfarrpatrons ist ein Familienfest wie Weihnachten. Da kommt die Familie zusammen.“ Die religiösen Bezüge gehen auch hier bei vielen verloren. Dieser Tag war für diese Familie auch besonders, weil ein Enkelkind der Besitzerin getauft wurde. Die junge Familie war also offensichtlich in der Pfarrkirche und nicht bei der Messe in der Dorfkapelle aber auch noch nicht zu Hause.
Von einer der späteren Gastgeberinnen wurde ich zu deren Nachbarin geführt, eine Frau vielleicht in meinem Alter, bei der sich auffällig viele Kinder im Hof aufhielten. Wenn sie am Wochenende von ihrer Arbeit in Manila nach Hause kommt, kümmert sie sich ein wenig um die Kinder von nativen Familien, die aus anderen Gegenden oder von anderen Inseln zugezogen sind und sich im unbeanspruchten Bereich hinter der Volksschule ihre Hütten aufgestellt haben. Man erhofft sich Arbeit in der Nähe der Hauptstadt. Viele leben dann von Gelegenheitsarbeiten. Man hat aber kaum Anschluss an die Bevölkerung des Dorfes. Die Kinder haben hier gegessen und zum Abschied noch Essen im Karton für zu Hause mitbekommen. Ich weiß nicht, ob die Kinder die Schule besuchen. Die Frau gibt ihnen am Wochenende aus eigenen Stücken ein wenig Religionsunterricht und ermutigt die Eltern, ihre Kinder taufen zu lassen, die das aber bis jetzt ablehnen sonst aber in gutem Kontakt zu dieser Frau stehen.
Der letzte meiner acht Besuche bot mir einen besonderen Einblick in die vielfältige oder auch oft gegensätzliche philippinische Gesellschaft. Eine Nachbarin hat mich auf meinem Rückweg noch abgefangen und zu sich eingeladen. Sie hätte am liebsten uns alle einladen wollen, aber ich war eben alleine unterwegs. Später verstand ich auch ihren Wunsch.
Der Straßentanz beim Umzug unter anderem mit einer fast reinen Männergruppe, was selten ist. Man ist mit viel Spaß dabei. (c) P. Josef Wilfing
Auf dem Platz vor dem Haus saß eine Männergruppe um den Mann der Gastgeberin. Die Frau stellte mich vor, aber von der Gruppe nahm kaum jemand Notiz, bloß ihr Mann schaute kurz auf. Er ist Wächter in einem Gefängnis, erzählte die Frau stolz, und am Vormittag seien viele seiner Kollegen hier gewesen. (P. Adam sagte mir später: Von diesen wirst du keinen in der Kirche sehen.)
Auf dem Weg zum Buffet stellte sie mich noch den Gästen am anderen Tisch vor, wo ihr Sohn mit Jugendvertretern der Stadt saß. Einige grüßten, manche lächelten sogar. Der Sohn war später der Einzige, der zu mir kam, um mir die Hand zu reichen. Ich wurde an den freien Tisch gesetzt. Auf dem Tisch lagen Prospekte von drei Politikern. Die Frau bemühte sich sofort zu sagen, dass sie diese auf den Tisch gelegt habe, damit man sie als Fächer verwenden könne. Einer der drei Abgebildeten war ein jüngst gewählte Senator, der in einer Korruptionssache als „nicht schuldig“ erkannt wurde. Auf der Hauptstraße nach Manila hat ihm die „Iglesia ni Kristo“ ein riesiges Plakat mit Glückwunsch aufgestellt. Bei der Werbetour anlässlich der jüngsten Wahlen wurden Mitarbeiter und Voluntäre des anderen Politikers von der Polizei ertappt, dass sie Geschenke verteilten und auch außergewöhnlich viel Geld in den Taschen hatten. Vor den Wahlen Geschenke zu verteilen ist verboten. Darauf stehen bis zu sechs Jahre Gefängnis. Es wurde aber von einer Strafverfolgung abgesehen. Der dritte gehört zur Familie des ersten, ist aber in diesem Zusammenhang nicht erwähnt worden. Alle drei sind Unterstützer des Präsidenten. Später kam als mein einziger Tischnachbar ein Armer hinzu, den ich von der Kirche kenne, der aber wegen eines Sprachfehlers nicht zu einer Unterhaltung fähig ist.
Wir waren die einzigen Gäste der Frau. Am Nebentisch unterhielt man sich ein wenig zu einem Gläschen Weinbrand. Das waren entweder noch andere Wächter oder Politiker, da ich ein Gesicht von einem der zahllosen Wahlplakate erinnerte. Angeboten wurde mir nichts. Das Desinteresse war anhaltend. Letztlich fühlte sich doch einer der Verwandten, der gerade dazugekommen war, verpflichtet, sich neben den Gast zu setzen. Er hatte ihn den Niederlanden eine Ausbildung zum Kartographen gemacht und interessierte sich vielleicht daher für diesen Europäer. Wir unterhielten uns ein wenig. Da sein Haus an meinem Spazierweg liegt, hat mich eingeladen, einmal bei ihm Halt zu machen. Mein Abschied erregte fast so viel Aufmerksamkeit wie meine Ankunft.
Brothers of Christ
Am letzten Sonntag war ich im Behindertenheim der „Brothers of Christ“ um Aushilfe gebeten worden. Das ist der männliche Zweig, der von Mutter Teresa von Kalkutta gegründet wurde. Man darf nur 30 Bewohner aufnehmen. Sie leiden an unterschiedlichsten Einschränkungen, aber man kann doch mit den meisten auf irgendeine Weise kommunizieren. Es gibt weder für dieses Heim noch für die beiden weiteren in Manila keine Unterstützung vom Staat oder der Gemeinde. Man kassiert noch für Verschiedenes und auch die üblichen Steuern. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Philippinen aussähen, wenn nicht die vielen sozialen Einrichtungen von NGOs, wenn man die Katholische Kirche und die anderen religiösen Gruppen hinzurechnet, geführt und getragen würden. Dazu kommen noch die vielen Freiwilligen – vor allem aus Europa, die den Brüdern und Mitarbeitern Entlastung bringen.
Sr. Agnes mit einem der Kinder. (c) P. Josef Wilfing
Unsere Novizen kommen jeden Samstag hierher, um bei der Arbeit zu helfen. Die Kinder und Jugendlichen haben bei der Messe kräftig mitgesungen. Danach wurden sie in die Zimmer gebracht oder warteten bereits auf die Merienda von Jollybee. Das löste Begeisterung aus.
Ich grüße euch herzlich von der Insel
P. Josef
Talon, 22. August 2019