P. Josef Wilfings Inselpost: China - das Gesicht zur Welt
Sechs Tage in China, 25.-30.10.2019
Wenn man von den Philippinen kommt, wo die Fahrbahnen eng an die Häuser herandrängen und die Geschäfte über die Gehsteige an den Straßenrand quellen, könnte der Unterschied größer nicht sein. Vom Flughafen dieser "Plus oder Minus Viermillionenstadt" Xiamen in der Provinz Fujien, China, fahren wir über großzügig angelegte Straßen mit drei oder mehr Fahrbahnen, vom Rad- und Gehweg durch einen Grünstreifen getrennt, zu unserem Hotel. Eine weitere kleine Grünfläche vor den Häusern erweckt den Eindruck eines Parks. Den Bussen des öffentlichen Verkehrs ist ein eigener Fahrstreifen reserviert oder es wird eine erhöhte Trasse für die Schnellbusse durch die Stadt geführt, z.T. begleitet von einem Radweg auf halber Höhe. Der Verkehr fließt ruhig und selbst in den Stoßzeiten ohne Stau.
Mit P. Adam, P. Stephen und P. Zhou Fei im 28. Stock. (c) P. Josef Wilfing
Auffallend sind die vielen westlichen Automarken der gehobenen Mittelklasse. Natürlich gibt es auch die Autos der nationalen Produktion oder der benachbarten asiatischen Länder. Alte Autos habe ich nicht gesehen. Die Fahrräder sind weitgehend durch Elektroskooter jeglichen Alters abgelöst. Wenn die Straßen weniger breit werden, kann man vereinzelt Fahrräder mit Güterseitwagen erkennen, an denen schon der Zahn der Zeit nagt.
Zur Wohnung unserer Mitbrüder
Nach dem Mittagessen fahren wir zur Wohnung unserer Mitbrüder in einem der vielen Hochhäuser der Stadt. Die 120m² Wohnung im 28. Stock ist ihnen zur halben Miete für 500,- Dollar monatlich überlassen. Wohnungen dieser Art kosten eine Million Euro oder mehr – je nach Lage. Viele werden von den Wohlhabenden der klassenlosen Gesellschaft als Geldanlage erworben und bleiben ungewohnt, was man beim Spaziergang an den nicht beleuchteten Fenstern erkennen kann.
Die Hochhäuser oder die Stadthäuser in abgetrennten Bereichen werden von Geschäftsleuten in enger Zusammenarbeit mit der Stadtregierung errichtet. Das Geschäft läuft. Alte Häuser habe ich nicht gesehen. In anderen Bereichen der Stadt gibt es die üblichen Wohnblocks. Im Vorjahr sollen etwa siebenhunderttausend Menschen – vor allem junge – die Stadt verlassen haben, weil sie sich das Leben hier nicht mehr leisten können und die Stadt zu wenig Arbeitsplätze bietet. Wenn man beim Spaziergang in Nebenstraßen abbiegt, sieht man Häuser bewohnt, die sicher bald durch Glaspaläste ersetzt werden.
Blick vom 28. Stock auf Reihenhäuser und Hochhäuser vor der Bai. (c) P. Josef Wilfing
Wohnverhältnisse
Der Pinoy (Philippino) lebt vermutlich wegen der meist beengten Wohnverhältnisse auf der Straße. Der Chinese lebt in seiner Wohnung, die ihm möglicherweise von der Regierung zur Verfügung gestellt wurde. Viele nehmen das Frühstück in einem der Streetfoodlokale ein, weil es sich nicht rentiert für ein oder zwei Personen zu kochen. Manche kommen auch zum Mittag- und Abendessen dorthin. Die Restaurants sind durchwegs besucht. Man sagte uns, dass die Männer am Abend gerne auf den Plätzen vor den Lokalen sitzen würden, um ein Bier zu trinken (Frauen trinken in der Öffentlichkeit nicht), was aber von der (Stadt- oder Landes-) Regierung verboten wurde. Die Lokale schließen. Andererseits treffen sich halborganisiert seit geraumer Zeit am Abend Frauen, bisweilen auch Paare, auf kleinen freien Plätzen oder in den Parks, um zu tanzen. Das war nicht nur in Xiamen so, sondern in jedem der Orte, die wir besucht haben. Gleichfalls täglich erlebten wir die Freude der Chinesen am Licht und der Beleuchtung ihrer Stadt. Bettler habe ich nicht gesehen. Obdachlose habe ich nicht gesehen.
Die "patriotisch-katholische Kirche"
Am nächsten Vormittag trafen wir den Bischof von Xiamen, der der „patriotisch-katholischen“ Kirche von China angehört. Auch unsere Mitbrüder gehören zu dieser katholischen Kirche Chinas. Die meisten der Bischöfe sind nach langen Verhandlungen des Vatikan mit der chinesischen Regierung anerkannt worden. Die Provinz Fujien ist doppelt so groß wie Österreich und hat zwei Diözesen, zu der jeweils etwa zehn Priester gehören, und in unserem Fall plus drei Salvatorianer. Der Bischof ist ein freundlicher Mann. Derzeit bewohnt er einen Kontainer, wenn er vor Ort ist, weil die „Kathedrale“ mit den Bischofswohnungen (für uns eher Pfarrkirche mit Pfarrhaus) abgerissen wurden und neu aufgebaut werden.
Ein Blick in die Wellblechkathedrale. (c) P. Josef Wilfing
Seine derzeitige Kathedrale ist eine geräumige Wellblechbaracke. Sobald man sich irgendwo hinsetzt, wird begonnen, Tee zuzubereiten und fortwährend ein- und nachzugießen. Das war bei unseren Mitbrüdern so, das ist in den Familien und Restaurants so, das ist auch beim Bischof so. Während des Gesprächs ist er durchgehend damit befasst.
Wir sprechen über mögliche Tätigkeiten unserer Mitbrüder und die bevorstehende Priesterweihe unseres Diakons. Diese ist schon bei den Behörden angemeldet. Die Weihe soll Anfang des nächsten Jahres stattfinden. Ein paar Wochen vor und nach dem chinesischen Neujahr ist es unmöglich, denn da muss der Bischof bei vielen öffentlichen Veranstaltungen anwesend sein. Das wird offensichtlich von den Behörden so gewünscht. In dieser Zeit kann er sich auf keine pastoralen Termine einlassen. Jedenfalls könnte ihm seine staatliche Pension gekürzt oder gestrichen werden.
P. Zhou Fei ist Kaplan in der Blechkathedralpfarre des Bischofs. Er hat auch Gottesdienste in anderen Kirchen. Br. Andrew wirkt hier als Diakon und hält meist die Predigten auch in den Messen mit dem Bischof. Die Gottesdienste sind gut besucht. Immer wieder kommen Menschen in die Nähe der Kirche, um zu sehen, was vor sich geht, und mit etwas Neugierde für das Christliche. Der Priester muss den Menschen nicht nachgehen. Sie suchen ihn. Die Menschen suchen nach mehr als ihnen der perfekte Staat bietet.
Opfer der Sicherheit
In der Gesprächspause, als P. Zhou Fei zu einem Begräbnis eines Gemeindemitglieds muss, breche ich zu einem Spaziergang auf. Ich weiß nicht, wo ich mich genau im Bereich der Stadt befinde. Ich habe kein inneres Bild der Stadt. Ich gehe und schaue. Manches Mal sieht es wie die unbearbeitete Rückseite von etwas aus. Ich fühle mich sicher. An einem der folgenden Tage kommt mir der Gedanke, ob man nicht auch einmal Opfer der Sicherheit werden könnte? Man begegnet kaum Fußgängern, zumindest nicht solchen, die weite Distanzen zurücklegen würden. Kinder werden von der Schule nach Hause gebracht. An einem Spielplatz vor einem Kaufhaus stehen ein paar Mütter mit ihren Kindern.
Ich verirre mich, weil ich mich verleiten lasse, weiterzugehen statt abzubiegen. Dann vermische ich verschiedene Erinnerungen. Die anderen sind inzwischen beim Mittagessen mit dem Bischof. Man sagt mir dann: Bewege dich nicht von der Stelle. Letztlich wird mich P. Steven mit einem Taxi abholen, sodass ich noch etwas vom Mittagessen bekomme. Ich wäre noch gerne weitergegangen (und hätte mich vermutlich noch weiter verirrt). Diese neue Welt war spannend.
Nach Sha Xian
Am Nachmittag fahren wir mit einem der langsamen Schnellzüge (nur 200km/h) über eine Unzahl von Brücken und durch Tunnels nach Sha Xian, wo P. Stephen Pfarrer ist. Seine Kirche ist 29 Jahre alt und wurde gemeinsam mit der Brücke errichtet, unter der sie steht. Er wohnt über dem Kircheneingang.
Blick auf die Pfarrerwohnung über dem Kircheneingang in Sha Xian. Im Hintergrund der buddhistische Frauentempel. (c) P. Josef Wilfing
Als er hier vor drei Jahren die Pfarre übernahm, kamen etwa dreißig Personen zum Sonntagsgottesdienst. Heute sind es an die hundert. Allein seine Anwesenheit hat die Christen ermutigt, sich wieder zu treffen.
Sie unterstützen ihn mit vielem. Er muss selten kochen. Meist wird ihm Essen gebracht. Zum Abendessen sind wir in einer Familie geladen, wo der Tisch mit mindestens sieben Gerichten gedeckt ist. Für das Wochenende überlässt uns eine Firma ihre Wohnung als Bleibe. Die Frau gehört zur Kirchengemeinde. Von dieser Wohnung im Haus Nr. 8 im achten Stock („acht“ bedeutet Reichtum) gehen wir den Fluss entlang.
Zurück zur Kirche werden Zeugen einer Lichtshow am gegenüber liegenden Flussufer, die mit einer Zelebration „70 Jahre Kommunismus“ abschloss. Das lässt die Menschen mit Stolz auf ihr Land blicken. Als wir am nächsten Tag die vier Kilometer lange Wanderbrücke am anderen Flussufer entlanggehen, begleitet uns Musik aus Lautsprechern, die alle zehn Meter unterhalb des Brückenweges angebracht sind. Das dient der Unterhaltung, kann aber auch für nützlichste Informationen unterschiedlichster Art gebraucht werden.
Ein bis zwei Stunden täglich wird diese Show gezeigt. (c) P. Josef Wilfing
Ob die Menschen etwas von den Uiguren im Westen des Landes wissen, entzieht sich meiner Kenntnis. Fragen dahingehend hat man mir nicht beantworten können. Könnten sie etwas wissen, wenn sie etwas wissen wollten? Google, Twitter und ähnliche Dienste sind gesperrt. Ich weiß nicht, ob den Menschen hier die Welt fehlt. Wo liegt Österreich? 1,4 Milliarden und eine kleine Freiheit sind genug.
Besuch bei einem buddhisten Mönch
Nach der Sonntagsmesse in Sha Xian bringt uns P. Stephen zu seinem Freund, dem buddhistischen Mönch. Bisweilen ist ihm sein Kloster zu lärmig, dann kommt er in die stille Kirche unterhalb der Brücke. Leider treffen wir ihn nicht an. Er hat sich vor hundert Tagen zu „Exerzitien“ zurückgezogen. Das bedeutet Meditation, Schweigen und reduziertes Essen.
Seinem zweiten Schüler, der uns dann auch bewirtet, hat er für diese Zeit die Leitung des Klosters übergeben. Zu diesem Kloster gehören „der Mönch“ mit seinen drei Schülern und etwa zehn Gastmönche, die nach einer gewissen Zeit weiterziehen.
China sei religionsfreundlich, sagte man. Neben der katholischen Kirche steht ein buddhistisches Frauenkloster und einige hundert Meter weiter ein taoistischer Tempel, auf den Bergen rund um die Stadt andere Tempel. Es soll Geschäftsleute geben, sagt man, die sich aus wirtschaftlichen Gründen einen Tempel bauen und Mönche mieten, die dann am Abend wieder nach Hause gehen. Der Schüler des Mönchs interessiert sich für den Katechismus.
Das Mittagessen bereitet ein pensionierter Koch im Hof vor der Kirche. Bei Veranstaltungen oder wenn es Gäste gibt, ist er da und stellt seinen Dienst zur Verfügung. Der Tisch ist wieder mit mindest sieben verschiedenen Gerichten gedeckt.
Pfarrgemeindevertreter, Koch, Quartiergeberin, P. Stephen. (c) P. Josef Wilfing
P. Stephen holt uns vom nachmittäglichen Spaziergang, zu dem wir mit einer notgedrungen schweigsamen Begleiterin aufgebrochen waren, ab. Auf dem Rückweg besuchen wir noch zwei Schwestern, die zur Kirchengemeinde gehören.
Der Ehemann ist in leitender Position in der Stadtregierung, interessiert sich aber für das Christsein. Die Tochter lebt in Australien und hat sich dort taufen lassen. Er trifft den Pfarrer gerne muss sich in der Öffentlichkeit aber zuurückhalten. Während unseres Besuchs bleibt er im hinteren Bereich des Wohnzimmers und spielt mit ein paar Freunden Karten.
Das spätere Abendessen im Hof vor der Kirche ist wiederum sehr reich aber leicht. Ich fühlte mich danach nie so beschwert wie bei manchem europäischen Essen.
Priester werden als Spione gesehen
P. Stephen hat guten Kontakt zum Priester der „katholischen Untergrundkirche“, den wir allerdings nicht kennenlernen. Die Untergrundkirche hat sich der römischen Kirche gegenüber immer als treu verstanden. Deren Priester wurden von der Regierung als Spione des Westens angesehen. Sie waren daher in ihrem Wirken sehr eingeschränkt und bisweilen verfolgt.
Die „patriotisch-katholische Kirche“ war vom Staat anerkannt, durfte allerdings keine Kontakte zum Westen oder nach Rom haben und war stark an die politische Führung gebunden. Die Behörde versucht (bis heute), sie an einer seelsorglichen Tätigkeit wo nur möglich zu hindern. Die Verpflichtung eines Bischofs zu staatlichen Terminen erweckt zumindest den Eindruck. Vielleicht ist ihm das aber auch recht?
Viele Priester (und auch Bischöfe?) der „patriotischkatholischen“ Kirche verstehen sich eher als Territorialherren denn als Seelsorger. Vielleicht wurden ihnen von den Behörden auch fixe Bereiche zugewiesen, sodass sie alle anderen Priester darin als Konkurrenten ansehen mussten? Wie sehr sie sich den Pfarrangehörigen verpflichtet fühlen, ist schwierig zu erahnen. Der Wunsch oder der Wille, den Menschen den Besuch der Sonntagsmesse zu ermöglichen, ist unterschiedlich stark ausgeprägt.
Manche Christen besuchen die Gottesdienste sowohl in der einen als auch in der anderen Kirche. Die „Untergrundkirche“ kann daher so geheim nicht sein. Das fördert allerdings das Konkurrenzdenken mancher Priester. Bei P. Stephen ist die Beziehung entspannt. Die Priester und Bischöfe der Untergrundkirche sehen sich als die „echte“ katholische Kirche, da sie nie einen Bund mit den Atheisten eingegangen ist.
Fahrt nach Shaowu
Am Montag nach dem Mittagessen fahren wir über eine fast autofreie Autobahn nach Shaowu. Zwei Autos stehen an einer Rast Station. Wir passieren viele Tunnels und Brücken. Die Provinz Fujien ist hügelig, z.T. bergig und waldreich. Man erklärt uns, dass während und nach der Revolution diese Wälder zur Gänze abgeholzt wurden. Erst vor etwa zwanzig Jahren hat man mit der Wiederaufforstung begonnen - bambuseinheitlich. In den flachen Talböden wird etwas Reis angebaut.
In den Dörfern, die von der Autobahn aus zu sehen sind, gibt es nur von der Regierung errichtete Mehrfamilienhäuser. Nicht wenige sehen verlassen aus. Fensterscheiben sind gebrochen oder fehlen überhaupt. Die Landflucht ist auch in China ein Problem. Die Regierung startet Programme der Wiederansiedlung, bei denen die Menschen unterstützt werden, Landwirtschaft zu betreiben oder Obstkulturen zu pflanzen.
Hauptpfarre der Salvatorianer-Mission
Shaowu war die Hauptpfarre unserer Mission in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Heute ist es eine Kleinstadt mit etwa 300.000 Einwohnern. „Man kennt sich.“ Hier ist alles ein wenig kleiner und älter als in Xiamen, außer den auch hier neu errichteten Einheitshochhäusern.
Wir treffen den Pfarrer, der heute die ehemalige Salvatorianerpfarre leitet. Der Pfarrhof steht in der heutigen Fußgänger- und E-Skooterzone. „Pfarrangehörige“ hatten bei einer öffentlichen Sitzung in der Kirche in Pfarrgemeindevertreter, Koch, Quartiergeberin, P. Stephen den 90er Jahren festgestellt, dass kein Priester da sei und dass sie die Vertretung der Pfarrei wären und das Recht hätten, die Güter der Pfarre zu verkaufen.
Mit Pfarrer Antonio und Pfarrschwester. (c) P. Josef Wilfing
So wurde das salvatorianische Krankenhaus an den Staat verkauft und mit dem Erlös das heutige, mehrstöckige Wohnhaus errichtet und von den Familien der „Pfarrangehörigen“ bewohnt. Dem Pfarrer blieb nur ein Zimmer. Die Pfarrer wechselten oft. Keiner hielt es hier lange aus. Als der jetztige Pfarrer das Gebäude für die Kirche zurückgewinnen konnte, wurden er und die Pfarrschwester von den „Pfarrangehörigen“, von denen keiner seit Jahrzehnten einen Gottesdienst besucht hatte, blutig geschlagen, sodass er die Polizei rufen musste.
Kirche (1937) und Haus der Pfarre (ca. 1993). (c) P. Josef Wilfing
Der Pfarrer war sehr gesprächig. Er erzählte vieles nur durch kurze Fragen unterbrochen. Vor zehn Jahren hatt er in Rom sein Studium abgeschlossen, so unterhielt ich mich mit ihm in seinem vergessenen und meinem schütteren Italienisch radebrechend.
Auf dem Tisch stand zur Begrüßung ein Teller mit Äpfeln und Maroni. Ich erspähte im Hintergrund eine Espressomaschine, die mir für das folgende Frühstück wieder den vermissten Kaffee versprach.
Wir konnten Einblick in die erhaltenen Fotoalben nehmen. Ein Bild zeigte die Versammlung in der Kirche, bei der von diesen „Pfarrangehörigen“ die Auflösung der Pfarre beschlossen wurde. Eine kleine Schar von Katholiken überlebte die Auflösung und gehört zur heutigen Kirchengemeinde, die offiziell 700 aktuell aber etwa 70 Katholiken zählt. Einer von diesen ist ein Neffe des P. Bonaventura SDS. „Bei mir gibt es keine Spione mehr“, sagte der Pfarrer.
Das Abendessen war reichlich. Beim abschließenden Spaziergang am Flussufer konnten wir noch einmal die Liebe der Chinesen für das Licht erleben. Das Einchecken im Hotel ging ohne Formalitäten vor sich, nur die beiden chinesischen Mitbrüder mussten ihre Ausweise zeigen. Uns wurden nur die Schlüssel für jeweils ein Zimmer übergeben. Es hätte sein können, dass die Polizei am Abend die Gästeliste kontrolliert. Der Pfarrer hatte bezahlt. Er steht in gutem Einvernehmen mit der Besitzerin des Hotels, der der Empfangsbereich offensichtlich auch als Schlafraum dient. Dort jedenfalls lugte sie unter einer Decke hervor als wir zum Frühstück in den Pfarrhof aufbrachen.
Wir besuchten noch zwei weitere Orte unserer ehemaligen Mission, wo die Christen nach dem Erfolg der Revolution und der Ausweisung der Mitbrüder sich selbst überlassen waren. Wir fragten uns, wie diese den Weg in dieses entlegene Gebiet finden konnten. Jin Keng (Goldloch) war ein Goldwäscherort, Mit was man noch an einigen prächtigen Häusern erkennen kann. Heute gibt es dort keine Katholiken mehr.
Jin Keng. Vor Kirche (1941) und Pfarrhof. (c) P. Josef Wilfing
Die Kirche und der daneben stehende Pfarrhof wurden kürzlich von den Kommunisten renoviert und sind Teil eines Religionsmuseums, in dem verschiedene Relgionen vorgestellt werden, an dessen Ende die kommunistische Partei als deren Überwinderin gepriesen wird. Auf dem Weg dorthin begegnen wir Touristen in Uniformen der Roten Armee, der besondere Schrei des Jubiläumsjahres. Was bei den Führungen über die Katholiken erzählt wird, wissen wir nicht. Beim anschließenden Gang durch den Museumsort sehen wir in manchen Häusern, die auch Teil des Museums sind, die Figuren der chinesischen Revolutionäre. Mao Tse Tung hatte sich in der Nähe versteckt gehalten, bevor er gegen Tschian Kai Schek kämpfte und gewann. Dabei soll ihm zeitweise auch der Pfarrhof als Quartier gedient haben. Die Salvatorianer hatten ihn verlassen, wohl ahnend, was auf sie zukommen könnte. Hin und wieder schauen ältere Menschen aus dem Fenster, andere sieht man im Ahnentempel, wenige auf der Straße. Die jungen Menschen gehören meist den Familien der Militärs an, die an diesem geschichtsträchtigen Ort angesiedelt wurden, um die Erinnerung an die siegreiche Revolution und die Rote Armee wach zu halten.
Nach vierzig Jahren Kommunismus hatte sich die Schar der Katholiken sehr reduziert. Kirchliches Eigentum wurde von ehemaligen Katholiken verkauft. Nach 70 Jahren war in Russland der Kommunismus zusammengebrochen. Was wird nach diesen 70 Jahren in China sein?
Nach dem Mittagessen im Autobahnrestaurant fuhren wir weiter nach Guangze, eine weitere ehemalige Salvatorianer-Pfarre. Die Kirche dort erlebte ein ähnliches Schicksal. Sie wurde von „Pfarrangehörigen“ auch in den 90er Jahren einem Geschäftsmann übergeben, der sie abreissen ließ und als Gegenleistung den Familienmitgliedern eines unserer chinesischen Mitbrüder zwei Wohnungen im vierten und fünften Geschoss übergab und dazu zwei Geschäftslokale an der Straße zum Vermieten. Auch das konnte der Pfarrer für die Kirche zurückgewinnen.
Heute befindet sich im vierten Stock die Kanzlei mit ein paar Wohnräumen für den Pfarrer und eventuell die Pfarrschwester. Im Stock darüber ist die Kapelle eingerichtet, die etwa hundert Menschen Platz bietet. Der Pfarrer ist gerade dabei, das Dachgeschoß zu einem Begegnungsbereich auszubauen. Er möchte Studenten versammeln. Jedes Jahr gibt es etwa zehn Erwachsenentaufen. Er kommt jeden Sonntagnachmittag zur Messe hierher und feiert auch am Montagmorgen noch einmal Gottesdienst. Die Kirchengemeinde ist (noch) klein. Auch sucht er die zerstreuten katholischen Schafe in anderen Orten. Er möchte auch die Gräber unserer hier verstorbenen Mitbrüder finden, von denen manche an abgelegenen Stellen beerdigt wurden, um sie dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Die Menschen, die um diese Gräber wussten, sind aber weitgehend verstorben.
Die Kapelle im fünften Stock in Guangze. (c) P. Josef Wilfing
Die katholische Kirche in China ist frei. Sie wird wahrgenommen. Es gibt keine Erwartungen an sie. Es gibt keine Gesetze, die ihr irgendwelche Vorteile böten. Vielleicht auch ein Vorteil? Sie ist in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Daher kann sie sich fokussieren. Sie ist an kein großes Programm gebunden. Sie darf keine Erziehungs- oder Sozialeinrichtungen führen. Bis zum 18. Lebensjahr ist der Kirchenbesuch verboten – aber es kommen Kinder und Jugendliche. Missionieren oder öffentlicher Gottesdienst sind nicht gestattet. Ordensleute dürfen nicht in Gemeinschaft leben. Es darf nichts wie ein Kloster aussehen. Unsere sechs Mitbrüder leben und wirken Flugstunden voneinander entfernt. Nur die drei in der Fujien-Provinz treffen sich regelmäßig. Finanzielle Unterstützung aus dem Ausland ist untersagt. Aber im Land gibt es Menschen, die bereit sind, die Priester zu unterstützen – aber eher mit materiellen Dingen wie Wohnungen, Autos oder Ähnlichem. Religiöse Gruppen können kein Eigentum erwerben sondern nur Einzelpersonen. Gesetze können nie alle Lücken schließen. In manchen Regionen gibt es Spannungen mit der „Untergrundkirche“. Die Bischöfe der patriotisch-katholischen Kirche sind sehr vorsichtig. Leicht könnten sie sich Nachteile einhandeln. Die Pfarrer sind ihre eigenen Herren und mancher (Antonio) kann sich trotz Einschränkungen durch Bischof und Behörde mit sanftem Mut ein wenig freispielen. Es gibt zu wenige Priester.
Szene aus einer einstündigen Theater- und Lichtshow mit sicher hundert Akteuren am letzten Abend. Der riesige Dreh-Zuschauerraum drehte sichr zu den verschiedenen Szenen gedreht. (c) P. Josef Wilfing
Trotz aller Einschränkung kann die Kirche von den Menschen wahrgenommen werden und wird gesucht. Man kann Zeit für die Suchenden haben, da man nicht so durch Programme gebunden ist. China ist nach siebzig Jahren Kommunismus ein riesiges, langsam erwachendes Missionsgebiet.
P. Josef Wilfing SDS