P. Josef Wilfings #Inselpost Nr. 13: Das Vulkantagebuch
Liebe Freunde und Bekannte,
Samstag, 11. 1. 2020
Ich habe Besuch. Wir fahren mit einigen unserer Studenten zum Aussichtspunkt Peoples Park und schauen auf den Taalsee mit der niedrigen Vulkaninsel in seiner Mitte, die unauffällig unter der Sonne oder den Wolken liegt.
Sonntag, 12. 1. 2020
Wir sitzen am Nachmittag in der Kapelle und hören ein Donnergrollen ohne Blitze unter sonnigem Himmel. Das kenne ich von Zuhause, Regen und Sonnenschein gleichzeitig. Um halb Fünf fällt plötzlich der Strom aus und die Brüder strömen in den Innenhof. Manche haben inzwischen vom Erdbeben- und Vulkanwarndienst eine Mitteilung erhalten, die die Gefahrenstufe 3 ausruft. Die Rauchsäule ist zu sehen. Wir zücken die Telefone, um die aufsteigende Rauchsäule zu fotographieren oder auf Kurzvideos festzuhalten. Man hört jetzt auch den Aschenregen leicht auf das Blechdach trommeln. Manche riechen schwefelhaltige Luft.
Die Rauchsäule von unserem Haus ausgesehen. Sie bewegt sich Richtung Nordost und mit ihrem Zentrum nicht zu unserem Haus. Unsere Schwestern, zwei Kilometer weiter im Osten, sind schon wesentlich stärker betroffen. (c) P. Josef Wilfing
P. Adam wird auf dem Weg nach Tagaytay von einem anscheinend schmutzigen Regen überrascht, das ihm schnell das Reservoir für die Reinigung der Scheiben leert. Halb im Blindflug erreicht er wieder unser Haus. Die Erde zittert immer wieder leicht.
Die Evakuierung der Insel hat vermutlich schon früher begonnen. Die Leute müssen mit den Pferden und Karabaos einen Teil ihres Lebensunterhalts zurücklassen. Als man auf Gefahrenstufe 4 erhöht, werden auch die Dörfer am Rande des Sees (zwangs-) evakuiert. Ich machte mir keine Sorgen wegen des Stroms, denn wir hätten zumindest Wasser, weil die Pumpen durch die Energie der Photovoltaikzellen gespendet wird.
Beim Abendessen musste uns P. Adam sagen, dass die Zellen wegen des Aschenregens die Batterien nicht aufladen können. – Wir haben ja noch einen Stromgenerator! Ich war vermutlich der Letzte, der duschte.
Das College rief an, dass der Unterricht morgen entfallen würde. Die Frühmesse bei den Salvatorianerinnen hatten wir schon vorher abgesagt. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich Erdstöße spüre. In den Rauchwolken über dem Vulkan hatte sich eine eigene Gewitterfront gebildet, die ständig von Blitzen durchzuckt wird. Es begann zu regnen. Nasse Asche tropfte hörbar auf das frisch gestrichene Blechdach.
Das Rumoren des Vulkans war bis kurz nach Mitternacht hörbar, aber die ganze Nacht kam es wiederholt zu Erdstößen, die mehr einem Zittern oder mal auch schon dem Schaukeln eines Boots im Wind glichen. Die Hunde beginnen immer wieder zu Bellen. Allein um etwa fünf Uhr morgens zitterte das ganze Haus. Eine Statue P. Adams fiel zu Boden. Der Schutzengel P. Hermanns folgte. Ich spürte das Rütteln, das Fallen hörte ich nicht.
Blick durchs Moskitonetz auf die grünen Pflanzen, die schwarzen Hagelnetze und die roten Dächer in aschgrau. (c) P. Josef Wilfing
Unser Haus ist sicher das am stabilsten gebaute im Barangay. Ich vertraue immer noch auf die Stabilität des Gebäudes. Das Beben dauerte nur Sekunden und bei uns keine merkbaren Schäden verursacht. Die sonst so lauten Hähne sind auffallend still.
Montag, 13. 1. 2020
Während der Frühmesse war Zittern spürbar. P. Adam hatte am frühen Morgen gemeinsam mit unserem Wächter Jun den Generator gestartet, nur um festzustellen, dass unser Brunnen leer sei. Auch bei weiteren Versuchen während des Tages scheiterten sie. Der Tiefbrunnen schien durch die Beben entleert oder haben sich überhaupt die Erdschichten verbunden. Die Segnungen und Sicherheiten der Zivilisation haben uns innerhalb von Stunden verlassen. Es ist so unwirklich ruhig im ganzen Barangay.
Die Brüder beginnen die Wege und den Basketballplatz zu reinigen. Ein Regen könnte alles zu Matsch machen, den wir dann gleichmäßig im Haus verteilen würden. Auch die Solarzellen werden gereinigt, die dann am Nachmittag ein wenig Energie bringen, aber nicht genug, um die Wassertanks zu füllen. Wir lernen sparsam mit dem Wasser umzugehen. P. Adam kauft Trinkwasser. Atemschutzmasken sind aus. Am Morgen gab es Sonne. Später zogen Regenwolken auf.
Br. Adriano sagte, dass einige Ordensgemeinschaften ihre Studenten nach Manila gebracht hätten. Die Steyler Missionare stellen ein paar ihrer Gebäude als Evakuierungsstätte zur Verfügung. Kein Strom – kein Espresso, keine Dusche. Sparsam mit dem Wasser umgehen: waschen oder wischen? Den Kühlschrank leeren, der sich von selbst abgetaut hat.
Das Wächterhaus hat Strom von den Solarzellen, die funktionieren. Wir könnten dort die Handys und Computer aufladen. Aus dem Dorf sind vielleicht fünfzig oder mehrere Telefone angesteckt. Ein paar Leute stehen in unserem Hof herum. Für Minuten sind ein paar Kinderstimmen in der Straße zu hören. Alles was grün, rot oder schwarz war, ist jetzt grau. Seven Shadows of Grey.
Kinder schaufeln mit Vergnügen und ohne Mundschutz an der Vulkanasche im Hof der Birgittinen. (c) P. Hubert
Die Gefahrenstufe wurde nicht aufgehoben. Die Schule ruft an, dass für die nächsten beiden Tage der Unterricht entfällt. Eine heftige Erruption kann nicht ausgeschlossen werden. Bis jetzt gab es nur Asche und Steinchen, die sich bis nach nördlich von Manila verteilte. Östlich des Sees waren sie bis zu sechs Zentimeter stark.
Blick auf die Siedlungen am Rand des Taalsees, im Hintergrund die Vulkaninsel. (c) P. Josef Wilfing.
Am Abend beginnen wieder leichtere Beben. Ich bin inzwischen so sensibel für jegliches Zittern, dass ich einen stärkeren Herzschlag nicht von einem leichten Beben unterscheiden kann. In der Nacht bebt und zittert es mehrmals. Das stärkste Beben um 3.00 Uhr haben weder ich noch P. Hermann wahrgenommen. Es ist ein seltsames Gefühl. Man weiß nicht richtig, was man wirklich machen soll.
Dienstag, 14. 1. 2020
Die ersten Nachbarn kommen schon um fünf Uhr, um ihre Telefone aufzuladen. Es ist sonnig. Am Morgen verkündet P. Adam, dass der Brunnen wieder Wasser hätte, aber dass der Generator nicht mehr funktionierte. In der nahegelegenen Werkstätte stehen die Leute an, um ihren Generator reparieren zu lassen. Generatoren sind in den Warenhäusern nicht erhältlich. Man begnügt sich mit dem bekannten philippinischen Satz: „Out of stock.“
Die Solarzellen funktionieren wieder, aber es gibt zu wenig Sonne, um sie für den Betrieb der Wasserpumpe nützen zu können. So sind wir wieder ohne Strom und immer noch ohne Wasser. Man kann mit wenig Wasser leben.
Inzwischen konnte man auch wieder Stimmen in der Straße hören oder auch schon in unserem Hof. Was ein wenig Sonne bewirkt. Es sind vereinzelt ganz leichte Beben zu spüren. Wenn mein frei hängender Habit schwankt, dann ist es die Erde und nicht mein Herzschlag.
P. Adam bringt Obst, das eine Bäurin verschenkt, bevor es verdirbt, weil die üblichen Kunden nicht vorbeikommen. Er möchte ihr etwas Geld geben, was sie ablehnt. Er lässt ihr zwei Kanister Wasser. In der ganzen Provinz Cavite wird für diese Woche der Unterricht abgesagt. P. Hubert ist da und zeigt ein Foto vom Vulkan, dem es seiner Meinung nach den Kraterrand abgesprengt hat.
Der Basketballplatz wird gereinigt. Asche auch auf dem Volleyballplatz und überall. (c) P. Josef Wilfing
Br. James, unser Diakon, meldet sich aus der nahegelegenen Pfarre Alfonso. In der Stadt und Umgebung sind Schulen als Evakuierungszentren zur Verfügung gestellt. Die Pfarre sammelt alles Nötige: Wasser, Lebensmittel, Hygieneartikel und Medizin für Kinder. Der Tag geht im wesentlichen ruhig vorbei, auch die Nacht bringt nur wenig Unruhe.
Mittwoch, 15. 1. 2020
Der starke Wind in der Nacht hat die Bäume ein wenig grüngeschüttelt. Die Leute stehen wieder Schlange für das Aufladen der Telefone. Heute wird der Basketballplatz nochmals gereinigt. Ein Teil der Asche hat sich über Nacht im Sportsraum verteilt. Im Hof vor dem Haus sammeln sich erstmals auch Kinder. Unter dem neuen, großen Vordach ist Platz und dort liegt keine Asche. Die Sonne zeigt sich immer wieder. Man könnte nicht glauben, dass wir in einer gefährlichen Situation leben, wenn man durch die grauen Dächer daran erinnert würde. P. Adam motiviert zu einer Kleidersammlung im Haus.
Zentrum in Alfonso. Zelte für etwa 500 Personen in der öffentlichen Sporthalle. (c) P. Josef Wilfing
Am Nachmittag fahren ich und mein Besuch Maria mit nach Alfonso, wo wir die Kleider dem Diakon übergeben. An der Talkante entlang im Westen des Sees ist die Erde Dank der Windrichtung beim Ausbruch aschefrei. Man hat hier Strom und in Alfonso funktioniert auch die Wasserversorgung. Freiwillige unter ihnen viele Jugendliche sortieren dort die Hilfsgüter. P. Adam übergibt Br. James auch einen Beitrag zum Kauf von Hygieneartikeln und Kindermedizin.
Br. James ist unser aufmerksamer Begleiter und bringt uns zu zwei von diesen Zentren. In der Schule sind etwa 2.000 Menschen untergebracht, auf dem öffentlichen Basketballplatz etwa 500 in Zelten eng aneinander. Die Kinder spielen auf der Schulwiese in der Sonne. Die Stimmung ist friedlich. Niemand weiß, wie lange noch.
Unser WächterJun fährt inzwischen einen neuen Generator kaufen, was uns Dank einer „Spende für Notfälle“ möglich ist. Am Abend sind wir bereits wieder mit Strom und Wasser versorgt. Auf dem Tisch finden wir mehr Obst – teilweise schon überreif - als üblich, da die Leute die Früchte gratis abgeben. Wir müssten in Österreich für solches Obst in die Container an der Rückseite der Supermärkte tauchen.
Wie kommt es zu einer Nachricht, dass im Umkreis von 17 Kilometern alle Menschen evakuiert sind? Diese Nachricht war in einer seriösen deutschen Tageszeitung zu lesen. Im Umkreis von 14 Kilometer leben fast 450.000 Menschen, im Umkreis von 17 Kilometer mehr als 900.000. Ich weiß nicht, ob sich schon jemand Gedanken gemacht hat, wie man so viele Menschen evakuieren könnte? Und wohin? Man braucht genügend Hilfe für die Menschen. Die Regierung hat gesprochen aber noch nicht gehandelt, außer dass das Militär mit in der Organisation ist. Man wird auch Hilfe für die Menschen brauchen, denen die Bäume und Pflanzen und der Aschenschicht gestorben sind. Werden die Evakuierten je zurückkehren können? Wenn sie zurückkehren, dann werden sie wieder von Null beginnen müssen.
Donnerstag, 16. Januar 2020
In der Nacht gab es einige Male ein Zittern. Unser Wächter Jun startet den Generator um sechs Uhr. Vor der Messe hat sich beim Wächterhaus bereits eine Schlange mit Wasserkanistern gebildet. Die Nachricht, dass wir Wasser haben, hat sich schnell herumgesprochen. Auch Menschen aus dem Nachbarort Buho kommen. Die Telefone werden in der Wartezeit aufgeladen. Erstmals wieder Espresso nach dem Frühstück.
Die Vulkaninsel unter dem aschweißen Tod. (c) P. Josef Wilfing
Es ist sonnig. Die Kinder spielen auf der Rasenfläche vor dem Haus oder warten auf den Bänken unter dem Vordach. Der Tag ist sonnig. Sonne, Palmen und spielende Kinder zeugen eine Paradiesstimmung. Die drohende Gefahr scheint weniger wirklich als diese friedliche Stimmung. Wie soll man mit Ungewissheiten umgehen? Niemand weiß wann und ob überhaupt.
P. Adam hat Männer aus dem Dorf organisiert, die unser Dach von der Asche reinigen, bevor sie vom Regen in die Rohre gespült wird und dort verklumpt. Die Brüder sind wieder mit Reinigungsarbeiten beschäftigt – heute auch im Innenhof, da es wieder Wasser gibt. Die halbe Jugendgruppe hat sich unter dem Vordach versammelt und scherzt.
P. Adam verteilt Süßigkeiten. Auch wenn die Warteschlange vor der Wasserentnahmestelle zu Mittag kürzer wird, steht immer jemand an, um Wasser zu holen. Der Nachmittag ist wiederum sonnig, tiefblauer Himmel über aschebedeckten Dächern und den Pflanzen, die noch nicht grüngeschüttelt worden sind. Nachdem am Nachmittag die Stromversorgung wieder funktionierte, verschwanden auch die vielen Menschen aus unserem Hof. Über dem ganzen Dorf liegt eine unwirkliche Ruhe.
P. Hubert, der für kurz zu uns kommt, sagt, je näher er zu Tagaytay kommt, um so ruhiger und angespannter seien die Menschen. Die Nacht vergeht ohne Ereignisse. Wir leben weiter in der Ungewissheit. Welche Gefahren drohen uns? Die Vulkaninsel ist niedrig. Die Lava wird die Insel bedecken und im See abkühlen. Der Auswurf, das sind Asche und vielleicht kleinere Steichen, könnte bei ungünstigen Windverhältnissen auch über Talon niedergehen – allerdings schon vermindert durch die etwa 16 Kilometer Entfernung. Ein Erdbeben, das es begleitend geben könnte, würde unser Haus erschüttern aber nicht zum Einsturz bringen. Es sollte Stärke 6,5 auf der Richterskala unbeschadet überstehen. Das neue Vordach ist bereits auf Stärke 7 ausgerichtet. Aber die Unsicherheit ist ein Gefühl.
Freitag, 17. Januar 2020
Ich fahre mit meinem Besuch nach Manila. Ich fühle mich nicht gut, dass ich in dieser Situation wegfahren soll. Mein Besuch fährt mit mir, um sich von der Anspannung zu erholen. Ich habe in Manila ein paar Unterrichtseinheiten als Vorbereitung zur „Ewigen Profess“ zu halten und werde am Montag auf die Bank gehen. In Manila war Aschenregen niedergegangen, aber das Leben blieb unbeieinflusst.
Samstag, 18. Januar 2020
Ich habe so ein Gefühl, dass sich alles wieder beruhigen würde. Wir besuchen unsere Schwestern in Manila, wo derzeit auch Sr. Irma von Buho mit ihren Kandidatinnen wohnt. Sr. Irma hatte am Sonntag vom Markt aus die Erruption, die Blitze und die Rauchwolke gesehen. Sie erreichte ihr Haus noch vor dem starken Aschenregen und der penetrant stinkenden Luft. Deren Kapelle lässt sich nicht so dicht abschließen, sodass sie vermieden dorthin zu gehen. Die geschlossenen Fensterläden im Wohnbereich machten die Situation erträglich.
Neues Leben in der Natur aber noch nicht bei den Menschen. (c) P. Josef Wilfing
Das Wasser floss nicht mehr, der Strom war aus und der Kühlschrank wurde immer leerer. Die Festnetzverbindung war schon ausgefallen, die Mobiltelefone konnten kein Signal finden. Den letzten Kontakt hatten sie mit uns, weil wir die Frühmesse am Montag abgesagt hatten. Die Schwestern aus Manila hatten verzweifelt versucht, sie telefonisch zu erreichen. Am Dienstagmorgen waren sie mit dem Auto da und packten alle ein.
Montag, 20. Januar 2020
Ich fahre wieder nach Hause. Es ist sonnig. Leider hat es nicht geregnet. Wir befinden uns leider am Beginn der winterlichen Trockenzeit. Die Asche lässt die Blätter der Pflanzen langsam absterben. Die Blätter der Bananenstauden hängen schlapp nach unten, aber in der Mitte hat sich bei vielen schon wieder ein neues, hellgrünes Blatt hochgeschoben.
Ich vergesse, die Gesichtsmaske anzulegen. Zwei Kilometer mit dem Tricycle machen meinen Mund staubig. Der ganze Tag ist laut Anordnung der Provinz Cavite unterrichtsfrei, damit die Schulen geputzt werden können.
Aus dem Krater steigt weiterhin ein wenig Rauch auf. Aus manchen Sprüngen auf dem Festland am Seeufer steigen ebenfalls Dämpfe hoch. Das verweist auf unterirdische Aktivitäten. Die Gefahrenstufe vier bleibt bestehen. Sie wird erst nach zwei Wochen Inaktivität auf drei reduziert. Wir leben weniger in einer Erwartungs- als eher in einer Befürchtungshaltung, mit der wir mehr und mehr vertraut werden, sodass sie ihre bedrohliche Kraft verliert.
Dienstag, 21. Januar 2020
Die Schule hat wieder begonnen. Es ist teilweise sonnig. Es ist Trockenzeit und wir bräuchten Regen. Die Menschen werden wieder langsam wirtschaftlich aktiv. Das Betreten des Talbodens ist weiterhin verboten.
Langsam gewöhne ich mich an den Gefahrenlevel 4 und vergesse ihn. Die schlummernde Gefahr ist nicht spürbar und wir glauben, dass wir das Risiko für unseren Bereich in etwa einschätzen können. Wir bleiben.
Mittwoch, 22. Januar 2020
Die Ursulinen wurden bei einer Freizeit für Kinder vom Aschenregen überrascht. Die Kinder wurden mit einer Jause ausgestattet und zumindest mit einem Karton ausgerüstet, sodass ihr Kopf geschützt war, wenn sie keinen Regenschirm hatten, nach Hause geschickt. Das Haus der Ursulinen liegt ca. zwei Kilometer näher am Vulkan und weiter östlich, sodass die Auswirkungen viel stärker zu spüren waren und der Schwefelgestank war penetranter.
Tagaytay hatte sich schnell und gut organisiert. Wo die Straße vom Tal hochkam, wurden die Menschen erwartet und in die einzelnen Stadtteile (Barangays) gebracht und in den öffentlichen Sporthallen versorgt. Viele hatten einen mehrstündigen Weg mit ihren Kindern hinter sich.
Der Barangay-Captain suchte sofort den Kontakt zu den Schwestern und die Menschen standen schon bald Schlange an die Pforte der Ursulinen. Dort gab es das Lebensnotwendige, das von der Stadt noch nicht zur Verfügung gestellt war: Wasser, Reis, Medikamente gegen Asthma – besonders für Kinder - und Kleidung soweit welche eingelagert war. Als sie Wasser für sich wollten, waren dir Reserven aufgebraucht. Zwei Tage: keine Hunde, keine Hähne und keine Moskitos. Totenstille?
Am dritten Tag begann sich das Leben wieder langsam zu regen. Die vier Novizinnen wurden am Montag in ein weiter entferntes Haus gebracht. Auch die meisten anderen Ordensleute in Tagaytay wurden nach Manila oder in eine andere Stadt in Sicherheit gebracht. Die Exerzitienhäuser stehen leer. Nach zwei Tagen wurden die Leute aus dem Tal in einem ehemaligen Rehabilitationszentrum gesammelt, weil sie so leichter zu versorgen waren. Jeden zweiten Tag kommt Sr. Wioletta mit den fünf jungen Schwestern dorthin, um zu weiterzugeben, was man ihr gebracht hat oder sie mit Geldspenden kaufen konnte.
Im ihrem Barangay leben noch etwa 40 arme Familien, die als Ortsansässige keine Hilfe erhalten, aber auch ohne Einkommen sind, weil die vielen Hotels und Restaurants der Stadt geschlossen haben. Sie haben nur den Vorteil eines eigenen Hauses. Zu diesen bringen sie jeden zweiten Tag ein kleines Esspaket.
Die vier Novizinnen haben nur die Nacht vom Montag auf Dienstag außer Haus verbracht und sind wieder zurück. Die Stadt Amadeo hat die Menschen in der zentralen Sporthalle versammelt und jede Familie einer Familie der Stadt zugeteilt, sodass alle versorgt waren. In der weiter entfernt liegenden Stadt Dasmarinas gibt es im Evakuiertenzentrum Chaos und Depression, weil sich kaum jemand um die Menschen kümmert.
Donnerstag, 23. Januar 2020
Mit Schwester Wioletta bei den Evakuierten. Die Schwestern werden von den Kindern stürmisch begrüßt. Mein Besuch Maria ist auch bald von Kindern umringt, die umarmt werden wollen. Bei mir sind sie eher scheu und fragen die jungen Schwestern, ob sie mich umarmen dürften. Die Mütter scheinen ihr natürliches Gefühl für Nähe und Zuneigung verloren zu haben. Erst als ich mich ins Spielen einmische, gewinnen sie Vertrauen. Ein Mädchen flüstert mir zu: „Ich bin glücklich.“ Alles ist sehr leise. Das einzige Leben wird durch die Kinder gebracht. Niemand weiß, wie lange noch und ob überhaupt.
Links mein Besuch Maria mit Sr. Lorelin beim Spielen mit den Kindern. (c) P. Josef Wilfing
Adonis erzählt, dass er alle seine Tiere verloren hat und dass das Dach seines Hauses unter der Aschenlast eingestürzt sei. Als wir gehen, wollen sich die Kinder immer und immer verabschieden, um noch einmal in den Arm genommen zu werden. Sr. Wioletta wird von vielen umklammert, sodass sie kaum gehen kann. Durch das Gittertorder Anlage winken sie uns nach.
Blick in eines der Sammelquartiere für 56 Familien. (c) P. Josef Wilfing
Freitag, 24. Januar 2020
In der Nacht hat es ein wenig geregnet, sodass der Staub auf der Straße gebunden ist. Wir fahren Richtung Norden und ein wenig weiter nach Westen. Wir fahren ins Leben. Die Stadt Trece Martires ist kaum betroffen. In der Zeitung lese ich, dass die Wahrscheinlichkeit eines größeren Ausbruchs 30 Prozent beträgt. Es gibt Bewegung unterhalb des Vulkans. Am Morgen soll eine Dampfwolke aus dem aufgeheizten See hoch aufgestiegen sein. Der Vulkan kocht weiter auf Gefahrenstufe 4.
Sr. Wioletta mit Kindern im Zentrum. (c) P. Josef Wilfing
Nach den Reinigungsarbeiten haben etwa einhundert Restaurants und Hotels in Tagaytay - mit Blick auf den Vulkan - wieder geöffnet. Den Evakuierten ist für kurze Zeit erlaubt, in ihren Häusern nach dem Rechten zu sehen. Am Abend fällt mehrmals ganz kurz der Strom aus. Wir fragen uns, was das bedeutet? Es beginnt langsam und dauerhaft zu regnen.
Noch schnell ein Foto vor dem Abschied. Im Zentrum. (c) P. Josef Wilfing
Ich grüße euch mit Blick voraus auf meinen Heimaturlaub
P. Josef
Talon, 26. Januar 2020