P. Josef Wilfings #Inselpost Nr. 15: Post von der „Insel der Seligen“.
Liebe Freunde und Bekannte,
ich grüße euch von der „Insel der Seligen“. So zumindest hatte einstens Papst Paul VI. Österreich beim Besuch der österreichischen Bischöfe in Rom bezeichnet.
Heute am Jahrtag meines Rückfluges sitze ich immer noch hier und warte, bis es Ausländern gestattet ist, auf den Philippinen einzureisen. Seit einem Jahr ist mein Koffer gepackt (inzwischen hat sich „Material“ für einen zweiten gesammelt). Seit einem Jahr bin ich fast reisefertig. Die Abreise auf Hoffnung hin habe ich mental immer Monat für Monat nach hinten verschoben. Auch die „Pasalubong“ (Geschenke, die man mitbringt) sind bereit. So muss ich die österreichischen Süßwaren nach und nach selbst verkosten. Hindernisgrund für die Einreise waren einmal die hohen Infektionszahlen auf den Philippinen, dann wieder die in Europa. Auch die Anfragen bei der philippinischen Botschaft in Wien erbrachten kein positives Ergebnis. Selbst ein Jurist des Einwanderungsbüros auf den Philippinen konnte nicht behilflich sein. Ich müsste zumindest ein Visum der Botschaft vorlegen können. Man ist dort sehr strikt.
Lockdowns waren sehr hart
Die Corona-Zahlen auf den Philippinen sind im Vergleich zu Europa eher niedrig, doch ist dort den Zahlen nicht zu trauen. Auch ist das Krankenhauswesen einerseits nicht sehr belastbar andererseits für viele nicht leistbar. Die Lockdowns, besonders die ersten Monate, waren sehr hart. Der Präsident gab sogar Schießbefehl für Militär und Polizei aus, sollten sich die Menschen nicht an die Anordnungen halten. Bei einem positiven Corona-Fall im Nachbarort, wurde der ganze Ort abgeriegelt und die Bevölkerung durch das Militär versorgt.
Inzwischen hat sich einiges gelockert. Der öffentliche Verkehr ist weiterhin eingeschränkt. Die Verkehrsmittel dürfen nur zu 50% ausgelastet sein. Wer in dieser Zeit seine Arbeit verloren hat, konnte nicht wie in den europäischen Ländern mit Unterstützung durch die öffentliche Hand rechnen. Ich habe auch Meldungen bekommen, dass manche, weil sie keine Arbeit haben und nichts verdienen, hungern müssten. Da es unseren Angestellten in den ersten Monaten des Lockdowns nicht gestattet war, ihr Dorf zu verlassen, mussten die Studenten neben dem OnlineStudium im wesentlichen auch die Aufgaben der Angestellten (Küche, Wäsche und Wächter) übernehmen.
Die Angestellten sind jetzt schon wieder seit Monaten vor Ort. P. Adam hatte allerdings die Bezahlung der Angestellten aufrecht erhalten, weil er wusste, dass die Familien auf die Einkommen angewiesen waren. Sr. Wioletta von den Ursulinenschwestern konnte in diesen Monaten trotz der Einschränkungen ihre Unterstützung für Arme (Gefängnis, Slums und Müllhalde) aufrecht erhalten. Auch die Arbeiten auf unserer Baustelle ruhten nur etwa für ein Monat. Durch Spenden aus Österreich, Deutschland und Kanada konnte die noch fehlende Finanzierung ausgeglichen werden. Im September soll das neue Noviziat eröffnet werden. Soweit ein kleiner und sicher sehr unvollständiger Überblick über die Situation dort.
Jahreszeiten bewusst erleben
Die erzwungene Anwesenheit in Österreich erlaubte mir, dass ich erstmals bewusst die vier Jahreszeiten erlebt habe. Ich sah das Blühen und konnte auch die Früchte ernten. Früher war das ein eher unbewusstes Erleben, weil alles so normal war. Durch die Reisebeschränkungen war ich jetzt im wesentlichen auf den Ort Margarethen am Moos beschränkt und habe bei den Spaziergängen den Wandel der Natur und die Arbeit der Bauern, die sich seit meiner Kindheit sehr verändert hat, betrachten können. Im Frühling dachte ich, dass die süßen Trauben sauer sein würden, wenn mir dir Rückreise bis in den Herbst verschoben würde. Die Trauben waren zwar süß, aber die Freude war getrübt.
Feiern auf den Philippinen
Trotz Corona hatten die Salvatorianer auf den Philippinen viel zu feiern. Zweimal konnte ich nicht die Verteidigung der Abschussarbeiten am College und die Studienabschlussfeiern des vierten Jahrgangs erleben. Zweimal fanden Priesterweihen und zweimal Diakonatsweihen statt. Ich fehlte auch bei den Professfeiern jeweils am 15. und 16. Juni (dieses Jahr das zweite Mal). Aber was sind Feste? Ich war gekommen, um mit den jungen Menschen das Leben zu teilen? Das fehlt wirklich.
Zweites Noviziat
Währenddessen war für mich dieses Jahr in Österreich eine Art zweites Noviziat oder ähnlich wie lange Exerzitien, da ich hauptsächlich auf den Ort Margarethen und auf mein Zimmer beschränkt war: viel Zeit! Neben der Zeit für mich persönlich nutzte ich die Gelegenheit zum Lesen, vielleicht kann man sogar studieren sagen. Zumindest ein paar blinde Flecken in meinem Wissen konnte ich ein wenig aufhellen.
Es war mir allerdings trotz des langen Aufenthalts nicht möglich, all die Menschen zu besuchen, die ich gerne besucht hätte. Die Zeitfenster, die ein Reisen innerhalb Österreichs erlaubten, nutzte ich für ein paar Ausflüge. So konnte ich Anfang September letzten Jahres erstmals die höchsten Wasserfälle Österreichs im Krimmltal in Salzburg besuchen und von dort ein wenig ins Gebirge hineinwandern. Ein paar Wanderungen führten mich auf die höchsten Berge meines Bundeslandes, sonst aber bewanderte ich hauptsächlich die Ebene unter der derzeit leisen Einflugschneise zum Flughafen Wien-Schwechat.
95. Geburtstag der Mutter
Zum Schönen in diesem Jahr, wenn auch nur wenig auffällig und unaufgeregt, gehörte der 95. Geburtstag meiner Mutter, den wir in der Familie feierten. Am Nachmittag allerdings fand eine distanzierte Begegnung mit den politischen Vertretern der Stadt Mistelbach und unseres Heimatortes Eibesthal statt.
Wenn meine Mutter auch vieles vergisst und vergessen hat, so hat sie sichtlich wahrgenommen, dass es um sie geht, und dass die Besucher wichtige Menschen sind. Der wichtigste Satz ihres Lebens war immer wieder: „Hauptsache ist, zufrieden sein“ (und interessanterweise nicht: „Hauptsache, gesund sein“, wie man zu sagen pflegt). Trotz aller Beschwernisse ihres Lebens und der gegenwärtigen Einschränkungen ist sie ein zufriedner Mensch geblieben, der sich über die kleinsten Dinge freuen kann, und seien es nur die drei Fichten auf der anderen Seite der Straße: „Ich muss nirgendwo hinfahren. Es ist so schön hier.“
Die "Insel der Seligen"
Österreich war wohl deshalb die „Insel der Seligen“, weil es weder von den Studentenrevolten noch von den anderen Protesten gegen Ende der 1960er Jahre wirklich heimgesucht war. Inzwischen sind wir hier auch von der Wirklichkeit eingeholt worden. Die „Insel der Seligen“ fühlt sich heute eher an als ein Pool der Unzufriedenen. Da kann die Regierung nur aus einer Riege von Spaßverderbern bestehen.
Als Neil Postman in den 1980er Jahren sein Büchlein „Wir amüsieren uns zu Tode“ schrieb, ahnte er vermutlich noch nicht, dass das Amusement das wichtigste Kennzeichen unserer Gesellschaft werden sollte. Was erwarten Eltern von einem Bildungssystem, wenn sie schon die Grundschulkinder mit dem Gruß „Viel Spaß“ in den Schulalltag entlassen? Und was soll man von einer Gesellschaft erwarten, die der deutsch-koreanische Philosoph Han als „PalliativGesellschaft“ oder „Wellness-Gesellschaft“ bezeichnet hat?
Re-agieren statt regieren
Die westliche Gesellschaft erwartet von den Verantwortlichen, dass ihr alles aus dem Weg geräumt wird, was Schmerz bereitet, und alles zur Verfügung stellt, was unser Wohlfühlen steigert, und dass sie alles erlaubt und unterstützt, was Spass macht. Im Zuge einer Pandemie ist damit ein Regieren schon nicht mehr möglich – vielleicht noch ein Re-agieren? Viele Mitbürger sind leider so auf die Einschränkungen fokussiert, dass sie nicht mehr sehen, welche Möglichkeiten ihnen trotz oder durch die Einschränkungen eröffnet werden.
Wenn Spass der einzige Grund für das Erleben von Freude ist, dann sind wir dort angelangt, wo Freude kaum noch erlebt werden kann. Das Virus hindert uns am Amusement bis zur Langeweile. Helmut Qualtinger sang schon vor Jahrzehnten auf echt Wienerisch „Weil mir so fad is“. Die Einschränkungen könnten aber auch als eine Herausforderung für unsere Zeit und für uns als Menschen gesehen werden. - Ich kann Einschränkungen leichter ertragen, wenn ich weiß „wofür“ oder „für wen“ ich sie auf mich nehme. Könnte das ein Ansatz für geübte (unspektakuläre) Nächstenliebe in Pandemiezeiten sein?
Viele leiden unter den Einschränkungen
Es gibt viele, die unter diesen Einschränkungen leiden, besonders in Alten- und Pflegeheimen, und bisweilen nicht die Ursachen dieser Einschränkungen verstehen. Es gibt viele, die durch die Einschränkungen an den Rand ihrer wirtschaftlichen Existenz gedrängt werden. Es gibt viele, die in ihrem Dienst an den Menschen der Gefahr einer Ansteckung ausgesetzt sind. Es gibt nicht wenige, die im Dienst an den Kranken bis über ihre Grenzen ihrer Arbeitskraft sich einsetzen. „Für alle diese Menschen“ könnten wir die Einschränkungen auf uns nehmen, „damit alles schneller vorbei ist“.
Wenn wir uns in diesen Zeiten auf das Negative konzentrieren, ist jedes Wort vom „Licht am Ende des Tunnels“ ein leeres Wort, denn dann ist jeder Tag länger unerträglich. Wenn ich niemanden habe, für den ich die Einschränkungen mittrage, dann könnte ich es immer für das Personal auf den Intensivstationen tun, die bis zur Erschöpfung ihren Dienst leisten. Ich trage mehr zur „Freiheit“ bei, wenn ich die Anordnungen unterstütze, als wenn ich gegen sie protestiere und sie unterlaufe.
Wenn ich auf das Negative fixiert bleibe, werde ich nach dem Ende der Einschränkungen (Werden wir das Virus jemals besiegt haben?) möglichst bald in mein altes Verhalten zurückkehren. Wenn ich aus dieser Situation gelernt habe, könnte es sein, dass ich sorgsamer in meinem Umgang mit der Umwelt und meinen Mitmenschen werde. Das ist eine Hoffnung wert.
Ich sage „Hauptsache zufrieden“ und nicht „Hauptsache gesund“. Aber ich wünsche euch: Bleibt gesund und froh, denn das eine ohne das andere ist immer zu wenig!
Ich grüße euch herzlich
P. Josef
Margarethen am Moos, am Jahrtag der untersagten Abreise, 15. April 2021