P. Josef Wilfings #Inselpost Nr. 22: philippinischer Alltag
Liebe Freunde und Bekannte,
derzeit erleben wir „Winter“. Auch wenn es offiziell nur eine Trocken- und eine Regenzeit gibt, sind Dezember, aber besonders Januar und Februar verhältnismäßig kalt durch einen starken kalten Wind. Dieses Jahr war der Januar dazu noch unverhältnismäßig feucht. Das sagt auch P. Hubert, der inzwischen zwanzig Jahre Erfahrung hat.
Talon
Während in den Shoppingmalls die Weihnachtszeit am 1. September beginnt mit der Dekoration von beschneiten Tannenbäumen und Liedern wie „I am dreaming of a white Christmas“ oder „Leise rieselt der Schnee“ und mit Weihnachten endet, beginnt die Vorweihnachtszeit in den Dörfern und Pfarreien neun Tage vor Weihnachten.
Dieses offene Clubhouse - sehr windig in diesen Tagen - war immer gut gefüllt. (c) P. Josef Wilfing
Ich war dieses Jahr erstmals in einer Subdivision (abgetrennter und bewachtes Wohnviertel) zu den „Simbang-gabi“ Messen (Frühmorgensmesse – in meinem Fall allerdings am Vorabend, ähnlich den Roratemessen bei uns) eingeladen. Von den vielleicht 600 Katholiken, die dort wohnen, kamen allabendlich etwa 120 zum Gottesdienst.
Da die Subdivision keine Kapelle hat, wurde im Clubhouse gefeiert. Organisiert wird alles von Freiwilligen, die nur vom Pfarrer die Erlaubnis brauchten, das veranstalten zu dürfen. Das ist die eigentliche Vorbereitung auf Weihnachten. Die Geburt Jesu ist auch nicht durch diese riesige Geschenktradition wie bei uns zugedeckt.
In unserer Kapelle. Überall muss Licht sein. (c) P. Josef Wilfing
Im Haus startet die Vorbereitung mit dem Beginn der Ferien. Wie jedes Jahr werden drei Krippen gebaut. Dieses Mal wurden die Plätze zur Dekoration den einzelnen Jahrgängen übergeben. Wie immer werden die drei Krippen aus dem Material, das die Natur und der Lagerraum bieten, verwendet und manches mit ein wenig Spray verfremdet.
Blick auf die der Kapelle gegenüberliegende Seite - immer noch Menschen. (c) P. Josef Wilfing
Nach zwei Jahren Covid-Unterbrechung konnten wir dieses Jahr wieder die Leute aus dem Dorf einladen. Nach unserer Einschätzung kamen mehr denn je. Es könnten etwa 400 Menschen gewesen sein, die die Kapelle und den Innenhof füllten. Neben allen Stühlen aus den Zimmern und Studienräumen wurden auch noch die Gartenbänke als Sitzgelegenheit geholt. Ein wenig Normalität war zurückgekehrt.
Großen Beifall erhielt P. Hubert, als er ankündigte, dass wir wieder mit der Kinder- und Jugendarbeit beginnen würden. Inzwischen haben sich die Gruppen mehrmals getroffen und sind auch nach außen hin aktiv geworden. Ich durfte die Jugendgruppe zu einem privaten Altenheim begleiten, das von NGOs unterstützt wird, weil es praktisch kaum eine staatliche Altenbetreuung gibt. Der Großteil der alleingelassenen Alten (meist Frauen) wird von katholischen und anderen privaten Betreibern versorgt. Es soll einen Gesetzesentwurf geben, der die Familienangehörigen zur Versorgung der alten Familienmitglieder verpflichten soll.
Ein solcher „Fall“ lebt jetzt seit Jahren auf der Straße, weil auch sein Bruder ein Pflegefall ist und dessen Ehefrau ihn nicht gerne in ihrem Haus sieht. So sehr Pflegekräfte von den Philippinen in den westlichen Ländern geschätzt werden, so wenig tut der Staat hier, um seine älteren Mitbürger zu versorgen. Die staatliche Mindestpension, die vermutlich an alle ausbzahlt wird, die als Tagelöhner keine andere Pensionsberechtigung erworben haben, wurde kürzlich auf 1.000 Pesos (etwa 17 oder 18 Euro) pro Monat verdoppelt. Wer mit dem Einkommen eines Arbeiters ein Krankenhaus oder Medikamente braucht, ist weitgehend auf das Mitleid seiner Umgebung angewiesen.
Jugendliche im Gespräch mit einer Bewohnerin. (c) P. Josef Wilfing
So vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein paar Menschen vor unserem Tor warten, ob P. Hubert etwas für ihre Medikamentenvorschreibung beitragen kann.
Zurück zu den Jugendlichen. Diese haben sich so normal benommen und sich so ungezwungen auf die alten Frauen eingelassen, dass es eine Freude war, das zu sehen. Die alten Menschen haben die junge Umgebung sichtlich genossen. Zum Abschluss gab es Reissuppe für alle: die Bewohner, die Arbeiter vor dem Haus und die Jugendlichen.
Und wenn jemand krank ist?
Unsere Angestellten haben im letzten Jahr bis jetzt eine schwere Zeit hinter sich. Die Frau eines unserer Wächter ist seit etwa zwei Jahren Dialysepatientin. Da sie als Lehrerin tätig war, hat sie eine einigermaßen gute Versicherung. Es bleibt aber noch immer genug zu bezahlen, da nicht alle Leistungen abgedeckt sind und zusätzlich vor der wöchentlichen Behandlung ein PCR-Test vorgelegt werden muss. Wir wissen nicht, wie das weitergeht. Der Mann versucht alles, um seine Frau und Mutter von zwei Söhnen möglichst lange am Leben und in der Familie zu haben.
Im Herbst war der Mann der Köchin und Vater des anderen Wächters verstorben. Ein Nachbar hatte während eines Streits eine Flasche auf seinem Kopf zertrümmert. Seitdem war er blind. Das Gerichtsverfahren verlief im Sand, weil der Nachbar, von dem alle wussten, wo er sich aufhielt, für die Polizei unauffindbar war. Das brachte nichts als die Kosten für das Verfahren. In Folge war er auch immer wieder krank, sodass seine Frau zur Pflege zu Hause bleiben musste.
Der tragischere Fall betrifft unseren Koch. Er ging mit seiner Frau ins Krankenhaus zu einer Untersuchung, da sie Schmerzen verspürte, aber nicht feststellen konnte, was es war. Sie mussten ein Monat auf die Laborergebnisse warten. Zu Fuß ging sie hinein, auf einer Trage wurde sie herausgebracht und in häusliche Pflege entlassen. Inzwischen waren Herz und Lunge so schwach, dass eine Chemotherapie für Krebs im vierten Stadium (die endgültige Diagnose) nicht mehr möglich war. Nach einer Woche zu Hause ist sie verstorben. Sie war nicht ganz 42.
Der Sarg mit der Toten. Ein paar Erinnerungsfotos. Eine Box für Spenden. Davor zwei Stühle für die nächsten Angehörigen. (c) P. Josef Wilfing
Ihr Mann und ein paar Verwandte haben sich die ganze Zeit um sie gekümmert. Sie hinterlässt ihren Mann und einen elfjährigen Sohn. Ihre Schwester war vor drei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Drei Buben auf einem Fahrrad hatten sie von hinten gerammt, während sie am Straßenrand ging ihre einjährige Tochter tragend. Sie hinterließ diese Tochter und einen dreijährigen Sohn. Die Toten bleiben meist neun Tage im Haus aufgebahrt, damit sich die Menschen verabschieden können. Das ist ungewöhnlich in einem Land mit warmem Klima. Die Besucher bringen oft etwas Geld mit, da eine Beerdigung teuer ist. Männer spielen vor dem Haus Karten. Der Gewinner muss einen Teil seines Gewinns der Familie für die Beerdigung zur Verfügung stellen.
Der/die Tote wird „einbalsamiert“, der Körper wird irgendetwie behandelt, um ohne Geruchsbelästigung im Haus bleiben zu können. Die Besucher werden auch bewirtet. Es gibt also eine Reihe von Kostenfaktoren, denen man kaum entkommt, wenn man den sozialen Gepflogenheiten folgen will. Oft aber tragen auch Nachbarn und Verwandte etwas zur Bewirtung bei. Der Priester hält die Begräbnismesse in einer Kirche oder Kapelle. Den Weg zum Friedhof macht die Familie allein mit den nächsten Verwandten. So weit ist mir das von P. Hubert erläutert worden.
Nirojan - postoperativ. (c) P. Josef Wilfing
"Friends of Salvatorians" helfen
Bei einem unserer Studenten wurde ein Loch im Trommelfell festgestellt. Er litt seit mehreren Jahren an Schmerzen und häufig auftretenden Entzündungen. Dank einer Hilfe aus Österreich (Friends of Salvatorians) konnten wir uns zu einer überaus nötigen Operation entschließen, die schließlich erfolgreich verlaufen ist. Allerdings konnten manche vorbereitende Untersuchungen erst nach Irrfahrten von Krankenhaus zu Krankenhaus erledigt werden. Auch lässt sich nach einem Monat schon eine deutliche Verbesserung der Hörfähigkeit feststellen. Durchgeführte wurde die Behandlung in einem Krankenhaus der La Salle Brüder (bei uns Schulbrüder), das zu den bekanntesten der Region zählt. Staatliche Krankenhäuser, wie im Fall der Frau unseres Kochs, sind günstiger, aber eben extrem überlastet, sodass es zu verhängnisvollen Verzögerungen kommen kann.
Kapitalistischer Staat
Die Philippinen sind ein typisch kapitalistischer Staat, in dem das meiste, das kostet, der Bürger selbst tragen muss, und das Gewinnbringende von den reichsten Familien des Landes organisiert wird. Die neun reichsten dieser Familien haben mehr Besitztum als die untere Hälfte der Bevölkerung. Dazu zählt weder die überaus reiche Familie des jetzigen Präsidenten noch die Familie seines Vorgängers. Diese sind nur Reiche minderen Grades. Ich glaube, man kann sich kaum eine Vorstellung vom Reichtum dieser neun Familien machen. Der Reichste entstammt einer chinesischen und Dynastie und betreibt unzählige Shoppinmalls, die von den Philippinos gerne besucht werden.
Drei Mal Neujahr
Zumindest in unseren Häusern sind das westliche Silvester und Neujahr eher nachrangige Feste. Man bleibt bis Mitternacht auf und prostet sich zu. Allein die Studenten von Ost-Timor, die auch einige Freunde eingeladen hatten, nützten die Nacht für Musik und Tanz.
Die Kalorienbombe Pongal im Spezialtopf, der einmal pro Jahr ausschließlich dafür genutzt wird und runde Früchte, die Wohlstand bedeuten sollen. (c) P. Josef Wilfing
Das tamilische Neujahr
Das tamilische Neujahr, Pongal, - eigentlich ein Erntedankfest – wird von den Studenten aus Sri Lanka organisiert. Es gibt Pongal (Reis, Milch, Zucker, Rosinen, Erdnüsse und ?). Das Ganze wird mindestens zwei Stunden gekocht und zum Frühstück serviert. Das Mittagessen bestand dann aus anderen Sri Lanka Spezialitäten.
Künstlicher Strauch mit "lucky money" in unserem Fall allerdings mit Sätzen aus der Bibel. (c) P. Josef Wilfing
Chinesische Neujahr
Für das chinesische Neujahr, bei uns vor allem das vietnamesische, wurden wieder die nationalen Gerichte serviert. Ein Spezialgericht: Fschiertes wird mit Reis umgeben, fest in Palmblätter gewickelt und dann sieben bis acht Stunden auf offenem Feuer gekocht. Dazu muss immer wieder Wasser nachgegossen werden. Man isst diese Speise mit etwas Honig. Zum Frühstück gibt es zusätzlich eine Gemüsesuppe mit Schweinefleischstreifen. Zu Mittag gab es wieder die nationalen Gerichte, die leider meinem Gedächtnis entfallen sind. Danach kehrte endlich wieder der Alltag ein und man konnte sich wieder aufs Studium konzentrieren.
Ursulinen
Ein besonderes Ereignis war der 80. Geburtstag von Sr. Margerita. Kardinal Tagle (ein Freund des Hauses) war zum Geburtstag seines Vaters gekommen zelebrierte gemeinsam mit dem Diözesanbischof Reynaldo und Altbischof Pedro die Messe. Man mischte sich ungezwungen unter die Schar der Gäste in einer sehr familiären Atmosphäre. Sr. Margarita, eine Italienerin, kam als erste und hat mit dem Aufbau begonnen. Sie ist heute vor allem wegen ihrer Weihnachtskrippen aus Naturmaterialien bekannt. Dazu arbeitet sie ab August. Ab 8. Dezember gibt es dann Führungen mit Katechese, zu der sich verschiedentlich Pfarren und andere Gemeinschaften anmelden.
Philippinen
Wir haben gerade eine Zwiebelkrise überstanden. Das Kilo roter Zwiebeln kostete zwischenzeitlich 700 Pesos (etwa zwölf Euro), lange Zeit 600. Das ist 40% mehr als Rindfleisch kostet. Über die genauen Ursachen weiß man nicht Bescheid. Zwiebelbauern sollen sich das Leben genommen haben, weil sie ihre Ware nicht verkaufen konnten. Jetzt hat man durch massive Einfuhr von Zwiebeln zumindest auf der Preisebene Entlastung geschaffen. Der Präsident selbst leitet derzeit das Landwirtschaftsministerium, und will es umgestalten. Bis jetzt war er aber kaum erfolgreich, aber auch nicht schlechter als seine Vorgänger. Es kann eigentlich nur besser werden. Als nächstes wird ein ähnlicher Vorgang bei den Eiern befürchtet.
Der Sohn des Justizministers ist des Kaufs einer größeren Menge an Drogen überführt worden. Jetzt nach etwa drei Monaten in Haft hat ein Gericht festgestellt, dass die Beweisführung der Anklage lückenhaft sei und nicht für eine Anklage reiche. Man stellte auch die Möglichkeit in den Raum, dass der Sohn das Opfer einer Kampagne sein könnte, hinter der sich Gegner seines Vaters verbergen. Ich habe leider nicht ganz verfolgen können, ob er bereits freigelassen wurde.
In einem anderen Fall ist die ehemalige Senatorin und Justizministerin Leila de Lima seit sechs Jahren in Haft. In diesen sechs Jahren hat man noch keine konkrete Anklage geschafft. Sie war Gegnerin des ehemaligen Präsidenten und es dürfte sich tatsächlich um eine konstruierte Sache handeln. Die meisten der Zeugen haben ihre Aussage zurückgenommen, weil sie unter Druck zustande gekommen wäre, oder sind überraschend aus dem Leben geschieden. Sie muss aber immer noch warten, weil zwei weitere Anklagen noch geprüft werden müssen. Wenn ein so berühmter Fall wie Leila de Lima sechs Jahre braucht, um zu einem Abschluss der Anklage zu kommen, kann man sich vorstellen, dass der Kleinkriminelle oder auch unschuldig Inhaftierte jahrelang hinter Gittern sitzen kann, ohne je einen Staatsanwalt und noch weniger einen Rechtsanwalt gesehen zu haben.
Persönlich
Persönlich geht es mir gut. Es ist stressiger als in meiner ersten Periode hier, aber ich kann leben und das Klima ist angenehm. Wenn man für die Finanzen verantwortlich ist, ist die Zeit um Neujahr immer anstrengender als der Rest. Aber auch das geht vorüber. Ich habe die Geschichten zu meinem Leben (vorläufig) abgeschlossen und hoffe sie bei meinem Heimaturlaub (April und Mai) in einem kleinen Büchlein präsentieren zu können.
Krippentour bei Sr. Margarita (Mitte) mit den Novizen und unseren Studenten. P. Vinoy (Novizenmeister, Mitte links), P. Tadeusz (neu, Professor für Soziologie) ganz in weiß. (c) P. Josef Wilfing
Und für die Freunde von Paula: Sie treibt sich immer noch in der Gegend herum. Sie hat deutlich zugenommen. Das liegt vor allem an den Eiern, die sie aus dem Hühnerstall stiehlt, wobei leider viele auch zu Bruch gehen.
Bleibt gesund und zuversichtlich!
P. Josef
Talon, Amadeo, Philippinen,
1. Februar 2023