Das geistliche Testament von P. Hermann Jedinger
Die Pfarrkirche Mistelbach war bis zum letzten Platz besetzt; selbst vor der Kirche mussten viele Bänke aufgestellt werden, weil nicht alle mitfeiernden Gäste Platz im Inneren gefunden hatten. Und es sei hier bewusst nicht der Ausdruck "Trauergäste" verwendet, denn Trauer verband P. Hermann mit seinem Tod nicht. Er hatte sich ausgebeten, dass niemand zur Auferstehungsfeier in Schwarz kommen möge; und so ehrten ihn die Feiergäste, indem sie in bunter Kleidung von ihm Abschied nahmen.
Die Liebe zu Gott und zu den Menschen stand für P. Hermann immer im Mittelpunkt seines Wirkens. Davon zeugt auch sein geistliches Testament:
Zum Abschied an euch alle!
Mein geistliches Testament.
Liebe Angehörige, liebe Mitbrüder und Mitschwestern, liebe Freunde, liebe Festgemeinde!
Ihr habt euch nicht verhört, dieser gemeinsame Gottesdienst ist eine Feier, ein Fest. Denn jetzt, da dieser Brief verlesen wird, bin ich an meinem Ziel angekommen: bei Gott, meiner Hoffnung, meiner Erfüllung und meinem ewigen Glück. Nicht, weil ich es verdient hätte, nein, weil er es in seiner Liebe es trotz allem so will. Daran glaube ich. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!
Die Lieder und Texte, und das anschließende Beisammensein bei der Agape sollen das zum Ausdruck bringen. Und wenn ich besondere Lieder ausgesucht habe und wünsche, dass ihr miteinander singt und euch nicht von einem Chor berieseln lasst, so hat dies denselben Sinn. Wenn euch beim Begräbnis oder drumherum sonst etwas ungewöhnlich vorkommt, so habe ich es mir so gewünscht.
Immer wieder habe ich bei den Predigten, im Unterricht und sonstigen Verkündigungen von der Frohen Botschaft gesprochen. Ich bin im tiefsten Herzen überzeugt, dass unser Gott die absolute, unverlierbare, bedingungslose und stets verzeihende Liebe ist, die uns Menschen niemals schaden wird. Er möchte uns glücklich machen und ihm können wir durch und durch vertrauen.
Ich habe es als schrecklich empfunden, dass diese Botschaft von Drohbotschaften, Höllenpredigten und absurden Gottesbildern ins Gegenteil verkehrt wurde und oft noch wird.
Die Angst vor Gott hat krankhafte Schuldgefühle entstehen lassen und die Freiheit der Menschen wurde geknebelt - und das alles im Namen des liebenden Gottes!
Meine Erfahrung mit Gott und die Erfahrung des Lebens sagen mir: Gott hat uns zur Hoffnung, zur Freude und zur Liebe geschaffen.
Die allerwichtigste Erkenntnis habe ich bereits erwähnt. Es ist die Botschaft, dass Gott kein rachsüchtiger, kleinlicher Tyrann ist - so wie wir es oft selbst sind - sondern die reine Liebe. Und zwar eine Liebe, die keinerlei Bedingungen kennt, die man niemals verlieren kann (wenn man sich nicht selbst dagegen sperrt), und die unendlich groß ist. Das Gleichnis vom Guten Vater - über das ich immer wieder meditiert habe - bestätigt dieses Gottesbild nur.
Würden wir endlich einmal die Vorstellung vom liebenden Gott konsequent weiterdenken, kämen wir von selbst drauf:
Liebe rächt sich nie!
Liebe beschränkt niemals die Freiheit!
Liebe zwingt nie!
Liebe gebraucht nie Gewalt!
GOTT IST DIE LIEBE!!!
Seine "Gerechtigkeit" ist ein Rechtmachen, ein in -Ordnung- bringen.
Und seine "Vergeltung" ist ein Geltenlassen dessen, was wir in Freiheit tun.
Ich bin überzeugt: „Gott hält sich nicht sehr an das Kirchenrecht“ und darum habe ich mir auch oft die Freiheit genommen ungehorsam gegenüber manchen kirchlichen Vorschriften zu sein, weil ich überzeugt bin, dass sich Jesus auch nicht daran gehalten hätte, weil ihm der Mensch wichtiger ist als das Gesetz.
"Glaube" bedeutet im Sprachgebrauch der Kirche oft "Fürwahrhalten von Lehrsätzen", in der Sprache Jesu dagegen immer "Vertrauen"! Immer wieder ermuntert uns Jesus, diesem liebenden Gott Vertrauen entgegenzubringen: "Vertraut auf Gott - vertraut auf mich" - "Wenn ihr nur Vertrauen so groß wie ein Sandkorn hättet, ihr könntet Berge versetzen" - "Habt ihr denn so wenig Vertrauen?"
Ich weiß heute auch, dass mein Leben eine ständige Einladung war, das Vertrauen auf Gott immer stärker einzuüben.
Ich bin Gott unendlich dankbar, dass er mir das Geschenk dieses Vertrauens gemacht hat und dass ich damit auch andere anzustecken durfte. Das alles ist Gnade, Geschenk von Gott vor allem dieses Gottvertrauen, das auch in schweren Stunden in wunderbarer Weise trägt und hält.
Daher gilt mein Dank auch ihm, wenn ich jetzt zusammenfasse, durch wen er mir Zeit meines Lebens Liebe und Vertrauen vermittelt hat:
- durch meine Eltern und Geschwister,
- durch manche meiner Lehrer und Schüler,
- durch viele meiner Mitbrüder, Mitschwestern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
- durch viele meiner Freunde, ganz besonders durch ganz bestimmte „Engel“, auf die ich mich immer bombenfest verlassen konnte.
Es waren so viele gute Menschen und es war unendlich viel mehr als ich verdient hätte.
Möge der liebende Gott euch das alles belohnen.
Ich möchte noch sagen, dass ich dankbar bin, Salvatorianer und Priester zu sein, dass ich es als Geschenk empfunden habe, viele Menschen auf ihrem Weg des Lebens und vor allem des Glaubens ein Stück begleiten zu dürfen.
Ich denke vor allem an die Kinder, die ich auf dem Weg zur Erstkommunion begleiten durfte, an die jungen Menschen, denen ich vorwiegend in der Zeit der Firmvorbereitung begegnet bin, an die Paare die ich trauen durfte, die Kranken oder alten Menschen denen ich die Sakramente spenden durfte, das ist mir im Älterwerden immer wichtiger geworden.
Ich denke natürlich auch an die Gottesdienstgemeinden in den Pfarren, in denen ich tätig sein durfte.
Aber besonders danken möchte ich jenen Menschen, die mich durch ihre Mithilfe, Nähe und Fürsorge, durch ihre Zuneigung und Liebe und durch ihr Gebet gehalten haben.
Ich weiß, dass ich oft nicht zustande gebracht habe, was richtig gewesen wäre.
In der Pfarre habe ich Entscheidungen akzeptiert, bei denen mir nicht wohl war und das liegt mir bis heute im Magen.
Auch als Provinzial musste ich Entscheidungen fällen, die manche nicht verstehen konnten oder wollten und manche haben sehr darunter gelitten.
Ich habe nie versucht gegen jemanden etwas zu tun. Ich habe aber sehr wohl getan, was mir für das Wohl des Ganzen (der Provinz, eines Werkes oder einer Pfarre) notwendig erschien. Ich habe es so als meinen Auftrag und meine Verantwortung empfunden und stehe auch heute noch dazu.
Ich bin auch an vielen von euch schuldig geworden, sei es aus Egoismus, Mangel an Verständnis, menschlicher Schwäche oder auch Unachtsamkeit.
Deshalb möchte ich jede und jeden, dem ich weh getan habe, den ich enttäuscht habe, dem ich Unrecht tat oder auch zu wenig beachtet habe um Vergebung bitten, allen voran meine engeren Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Freunde.
Möge ich euere Vergebung erfahren, wie ich darauf vertraue, die Vergebung Gottes zu erfahren.
Ich weiß dass er mich, so wie euch alle, liebt und ich ihm vertrauen kann. Das Bild des barmherzigen Vaters auf dem Totenbildchen soll dies ausdrücken. Er hat mich auch mit meinen Schwächen und mit meinen Fehlern (und die waren durchaus nicht wenig und leicht) brauchen können.
Vielleicht versteht ihr nun, warum ich diesen Gottesdienst als Freudenfest betrachte:
Ich bin am Ziel, geborgen in der unendlichen Liebe, der mich nichts und niemand mehr entreißen kann. Dafür hat es sich gelohnt zu leben, und dafür hat es sich gelohnt oft hart zu lernen und dafür hat es sich gelohnt zu sterben.
Daher ist mein Wunsch für euch alle:
- dass auch ihr erfahren könnt, dass dieses Gottvertrauen auch in schwersten Zeiten trägt und hält,
- dass ihr euch nicht vergiften lasst von einer falschen Gotteslehre, und käme sie aus höchsten kirchlichen Kreisen,
- dass ihr eure gottgeschenkte Freiheit bewahrt und euch von keiner totalitären Hierarchie, von keinem noch so "wohlmeinenden" Freund oder Verwandten vom als richtig erkannten Weg abbringen lasst,
- dass ihr stets einzig und allein eurem eigenen Gewissen und eurem eigenen Verantwortungsgefühl verpflichtet fühlt - und beides niemals durch einen anderen Menschen, auch durch keine "Autorität" ersetzen lasst, und schließlich:
- dass ihr die Liebe und Vergebung, die ihr täglich von Gott empfangen dürft, als "Engel" an andere weitergebt.
Denkt daran: ich kann euch nun näher sein als jemals im Leben - und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann wir uns wiedersehen.
Ich freu mich drauf!
AMEN
P. Hermann Jedinger