
Symposion: Tabus Menschenhandel und Zwangsprostitution
Gemeinsam mit nationalen Hilfsorganisationen und internationalen Expertinnen und Experten widmete man sich drängenden Themen wie sexueller Ausbeutung, Zwangsheirat, Kinderarbeit sowie der Situation von Opfern des Menschenhandels in Österreich.
Wie die Plattform selbst, so war auch die Veranstaltung geprägt von Vernetzung, Austausch und dem gemeinsamen Ziel, wirksame Strategien gegen Menschenhandel zu entwickeln. Durch das Symposion führte Katharina Beclin, Koordinatorin der Plattform und Professorin am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien. Den Ehrenschutz hatte Österreichs First Lady Doris Schmidauer übernommen.
Katharian Beclin, Koordinatorin der Plattform und Professorin am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien. führte mit ihrer Moderation durch das Symposion. (c) ÖOK/rs
Der Vormittag stand im Zeichen der Aufklärung junger Menschen: Unter dem Titel „Was tun gegen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen?“ fanden im Juridicum Vorträge und Workshops für Schülerinnen und Schüler statt. Neben Najwa Duzdar vom Verein "Orient Express" und Sabine Kallauch vom Verein "KAVOD" referierte auch Reinhard Heiserer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation "Jugend Eine Welt", über Arbeitsausbeutungsformen von Kindern und Jugendlichen.
Am Nachmittag rückte unter dem Titel "Schaffung von Zukunftsperspektiven für Opfer: Stabilität, Bleiberecht und Arbeit" die Frage in den Mittelpunkt, wie Betroffenen von Menschenhandel – im Sinne der Europaratskonvention – realistische Zukunftsperspektiven in Österreich eröffnet werden können.
Ia Dadunashvili (GRETA): Es braucht klare Regelungen
Den Auftakt der Fachvorträge am Nachmittag machte Ia Dadunashvili, Expertin für Geschlechtergleichstellung bei GRETA – der unabhängigen Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Menschenhandel. GRETA besteht aus 15 Fachpersonen aus verschiedenen Ländern und überprüft die Umsetzung der Europaratskonvention durch die Mitgliedstaaten.
Ia Dadunashvili: "Victims may be afraid to cooperate due to threats from traffickers, trauma or fear of retaliation against family members." (Die Opfer haben möglicherweise Angst, zu kooperieren, weil sie von den Menschenhändlern bedroht werden, traumatisiert sind oder Vergeltungsmaßnahmen gegen Familienangehörige befürchten.) (c) ÖOK/rs
Ia Dadunashvili würdigte die Erfolge einer Plattform zum Schutz von Opfern des Menschenhandels und betonte die Bedeutung eines menschenrechtsbasierten Ansatzes. Früher konzentrierte sich die Diskussion vor allem auf die Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden als Voraussetzung für Aufenthaltstitel. Heute ist klar: Sicherheit und Integration von Opfern hängen maßgeblich von einem sicheren Aufenthaltsstatus und dem Zugang zum Arbeitsmarkt ab.
GRETA hat über ein Jahrzehnt hinweg 47 Vertragsstaaten der Europaratskonvention analysiert. Die Ergebnisse zeigen große Unterschiede: Nur 25 Staaten berücksichtigen sowohl die persönliche Situation der Opfer als auch die Kooperation. In Ländern wie Armenien, Moldawien oder Belarus wurden jahrelang keine Aufenthaltstitel erteilt. In den Niederlanden hingegen werden jährlich Hunderte bewilligt. Diese Diskrepanzen gefährden den gleichwertigen Opferschutz in Europa.
Besonders kritisch sind die sogenannte „Kooperationsfalle“, das „Integrationsparadoxon“ und das „Dokumentationsdilemma“: In manchen Staaten ist der Aufenthalt vom Ausgang eines Strafverfahrens abhängig, was Opfer in rechtliche Unsicherheit bringt. Zudem wird Integrationsnachweis verlangt, ohne dass Opfer Zugang zu entsprechenden Angeboten haben. Fehlende Papiere führen in vielen Ländern zu massiven Verzögerungen oder Verweigerungen von Aufenthaltstiteln.
GRETA fordert:
- humanitäre Aufenthaltstitel auch ohne Kooperation,
- schnellere Bearbeitung,
- Zugang zum Arbeitsmarkt bereits während des Verfahrens,
- klare und vorhersehbare Regelungen.
Die neue EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels (Juni 2024) stärkt Opferrechte erheblich: Sie verpflichtet zur umfassenden Unterstützung, schafft formelle Verweisungsmechanismen und betont die Komplementarität von Asyl- und Menschenhandelsverfahren. Beispiele wie Dänemarks Umgang mit ukrainischen Geflüchteten zeigen, dass politische Entschlossenheit effektiven Schutz ermöglichen kann.
Dadunashvili rief dazu auf, systemische Schutzlücken zu schließen. Es gehe nicht nur um juristische Fragen, sondern um die Menschenwürde und soziale Stabilität. Die neue EU-Richtlinie bietet eine historische Chance für gerechte, einheitliche Standards – nun sei mutiges Handeln gefragt.
Georg Stillfried (BMEIA): Verbesserungen sind möglich
Botschafter Georg Stillfried, Leiter der Sektion für konsularische Angelegenheiten im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) und nationaler Koordinator zur Bekämpfung des Menschenhandels, thematisierte in seinem Vortrag die Bekämpfung von Menschenhandel und betont die Bedeutung der Sensibilisierung verschiedener Akteure – etwa Arbeitsinspektorat, Behörden und Personen, die mit gefährdeten Gruppen in Kontakt stehen. Es wird vorgeschlagen, Hinweiskataloge zu entwickeln, um mögliche Ausbeutung zu erkennen.
Georg Stillfried: "In der Taskforce sind die verschiedenen relevanten Institutionen vertreten, sowohl die öffentlich rechtlichen als auch die NGOs. Wir haben uns dafür entschieden, diesen besonderen Mix zu haben. Wir sind davon überzeugt, dass das sehr, sehr zweckmäßig ist beim Kampf gegen Menschenhandel." (c) ÖOK/rs
NGOs wie LEFÖ, Orient Express oder FEM Süd spielen eine zentrale Rolle bei der Betreuung und Unterstützung der Opfer, ebenso wie eine Hotline und spezialisierte Beratungsstellen. Die Zusammenarbeit mit der Polizei wird als gut beschrieben, insbesondere im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis zu Betroffenen.
Internationale Evaluierungen, etwa durch die US-Regierung oder internationale Monitoring-Gremien, stellen Österreich ein positives Zeugnis aus, obwohl noch Verbesserungen möglich sind.
Die Task Force Menschenhandel organisiert jährlich eine wichtige Fachkonferenz in Wien, bei der im letzten Jahr rund 600 Teilnehmende (vor Ort und online) dabei waren. Abschließend wird betont, dass Kooperation zwischen Behörden und NGOs entscheidend ist und gut funktioniert.
Maryam Alemi (Caritas): Sicherheit für Betroffene muss Priorität haben
Maryam Alemi von der Rechtsberatung der Caritas betonte die positiven Aspekte der Menschenhandelskonvention und lobte, dass in jedem Asyl- oder Rückkehrverfahren geprüft wird, ob ein Aufenthaltstitel für Betroffene von Menschenhandel möglich ist. Die Schulungen der Internationale Organisation für Migration (IOM) haben laut ihr zur Verbesserung der Praxis beigetragen.
Maryam Alemi: "Die Menschenhändler sind sehr klug. Sie nennen nie ihre Namen. Teilweise sagen sie den Betroffenen nicht einmal, in welchem Land sie sind." (c) ÖOK/rs
Dennoch wies sie auf gravierende Schwächen hin: Der Aufenthaltstitel ist an eine Anzeige gebunden – viele Betroffene scheuen diesen Schritt aufgrund von Angst und Belastung. Eine Verlängerung des Titels ist oft nicht realisierbar, da traumatisierte Personen kaum innerhalb eines Jahres die nötigen Kriterien (z. B. Job, Sprache) erfüllen können. Die gesetzlich vorgesehene Frist von sechs Wochen für die Entscheidung über den Antrag wird in der Praxis häufig nicht eingehalten – oft dauert es bis zu einem Jahr, was die Betroffenen zusätzlich belastet.
Alemi forderte einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, auch ohne Strafverfahren, wie er in anderen Ländern möglich ist. Sie plädierte dafür, Sicherheit für Betroffene zur Priorität zu machen – erst dadurch könne eine effektive Strafverfolgung gelingen. Im Hinblick auf den EU-Migrationspakt ab 2026 sah sie Chancen für Verbesserungen, etwa bei der Identifizierung vulnerabler Personen, Mobilitätsprüfungen, erweiterten Enthaftungsgründen und der gesetzlichen Verankerung von Erholungs- und Bedenkzeit für Betroffene. Sie schloss mit der Hoffnung auf zukünftige Fortschritte.
Podiumsdiskussion
Die anschließende Podiumsdiskussion drehte sich um das Thema "Langfristiger Aufenthalt und Arbeitsmarktzugang als Zukunftsperspektiven?". Es diskutierten Julia Koffler-Pock (Staatsanwaltschaft Wien), Ia Dadunashvili (GRETA), Carola Luengo Espinoza (LEFÖ-IBF Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels), Markus Zingerle (MEN VIA Opferschutz, Unterstützung für männliche Betroffene von Menschenhandel ), Maryam Alemi (CARITAS Rechtsberatung), Bärbel Heide Uhl (Politikwissenschaftlerin und Expertin für europäische Menschenhandelspolitik) und Irene Brickner (Der Standard).
(V.l.n.r.) Julia Koffler-Pock (Staatsanwaltschaft Wien), Ia Dadunashvili (GRETA), Carola Luengo Espinoza (LEFÖ-IBF Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels), Markus Zingerle (MEN VIA Opferschutz, Unterstützung für männliche Betroffene von Menschenhandel ), Maryam Alemi (CARITAS Rechtsberatung), Bärbel Heide Uhl (Politikwissenschaftlerin und Expertin für europäische Menschenhandelspolitik) und Irene Brickner (Der Standard). (c) ÖOK/rs
Die Plattform
Die Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel wurde 2015 von den Salvatorianern und der Caritas gegründet und setzt sich für den Schutz von Betroffenen und die Bekämpfung von Menschenhandel in Österreich ein. Durch Vernetzung von NGOs, Behörden und Expert:innen sowie mit regelmäßigen Fachveranstaltungen, Bildungsangeboten und politischen Forderungen leistet sie wichtige Aufklärungsarbeit. Im Fokus stehen unter anderem Arbeitsausbeutung, Kinderhandel und rechtliche Verbesserungen für Opfer.
Der "Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel" gehören von kirchlicher Seite u.a. die Caritas der Erzdiözese Wien, die Diakonie, der Orden der Salvatorianer und die Steyler Missionsschwestern, die Wiener Katholische Frauenbewegung, der Wiener Katholische Akademikerverband und Solwodi-Österreich an. (Website: www.gegenmenschenhandel.at)